Er ist weltbekannt: Der Koloss von  Rügen. Geplant als gigantisches Seebad der NS-Organisation Kraft durch Freude fand die im Nationalsozialismus begonnene Anlage ihre vorläufige Vollendung als abgeschirmte Großkaserne im Kalten Krieg. Nach Jahren des Leerstandes und der Diskussion über die künftige Nutzung entsteht hier nun eine Wohn- und Erholungsoase mit Ambitionen zum staatlich anerkannten Seebad. Die Bewertung des Gebäuderiegels an der Prorer Wiek  ist indessen umstritten. Die Beschäftigung  mit dem Ort Prora auf Rügen berührt unmittelbar den Diskurs zur Erinnerungskultur im wiedervereinigten Deutschland.

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Prora hat eine doppelte Diktaturen-Geschichte. Beide Regime bauten am „Koloss“, ehe er nach der politischen Wende (1989/90) zur Ruinenlandschaft verkam. Zum Teil wurde der Verfall forciert, wie die Geschichte von Block V demonstriert:  Achtlos ging die Politik vor allem mit all dem um, was von der DDR-Ausbau- und Nutzungsphase kündete – also was die „Kaserne Prora“ ausmachte. Ein Grundsatzbeschluss von 1997 führte zudem zur Beseitigung fast aller aus der DDR-Zeit stammenden Gebäude landseitig des Kolosses. So wurde es ein Leichtes, die Ruinen einer der größten Kasernenanlage der DDR tourismusstrategisch als „KdF-Ruinen“ bzw. sogar „ehemaliges KdF-Bad“ zu vermarkten.

Häufiger wird der Ort mit dem Reichsparteitagsgelände Nürnberg gleichgesetzt. Das ist schon insofern falsch, als Prora keinen einzigen Tag seiner ursprünglichen Planung zugeführt wurde. Zudem blieb die Anlage ein Torso; nie bildeten die einst geplanten Bettenhäuser (Blöcke) eine geschlossene Hinterlassenschaft.  Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Geschichtsklitterung bei der Einweihung der „Jugendherberge Prora“ (2011). Damals behaupteten nicht wenige Medien, Block V habe seit der NS-Zeit leer gestanden und werde erst heute zum Leben erweckt. Die hoch interessante Geschichte aus der Zeit des Kalten Krieges wurde allenfalls untergeordnet, zumeist aber gar nicht erzählt. Es gab also viel zu tun für die Initiative DenkMALProra, die sich 2008 unter Historiker Dr. Stefan Stadtherr Wolter gründete, der 19-jährig selbst in die geheime Kaserne befohlen worden war und später darüber die Autobiografie „Hinterm Horizont allein – Der Prinz von Prora“ (2005) verfasste. 

Mahnmal der Geschichte?

Die „Prora-Trilogie“ (2005-2009), die in den Jahren darauf entstand, kündet vom Nerv, auf den Wolters autobiografischer Erlebnisbericht bei einer Vielzahl von Menschen traf. Und auch, wie die Erkenntnis wuchs, Spuren der DDR-Nutzungsgeschichte dokumentieren bzw. ebenfalls unter Schutz stellen lassen zu müssen. Denn sind sie einmal weg – und das zeichnet sich über die Anlage hinweg bereits ab – stellen sich nicht mehr die richtigen Fragen an den Ort. Oder aber er gestattet nicht mehr die richtigen Antworten, etwa auf die Frage: Reicht der bisherige architekturhistorische Fokus auf die Planungen der Anlage zu deren Bewertung aus - oder missachtet dieser nicht die den „DDR-Bedürfnissen“ angepasste Formensprache und damit die Sozialgeschichte des Ortes?         

Politische und mediale Steuerungen

DenkMALProra gibt die richtigen Antworten auf die politischen und medialen Steuerungen, die  Prora seit 1990 als „Seebad der 20.000“ weitaus  bekannter machten als die aus dem Torso gestaltete stalinistische Großkaserne. Als solche hatte der Ort  mehr Opfer gefordert als in seiner Planungs- und ersten Bauphase. Prora entfaltete - unter anderen Vorzeichen - erst jetzt seine systemstabilisierende Funktion. Die Nationale Volksarmee, deren Entwicklung  auf das Engste mit Prora verknüpft war, zielte auf die Herrschaftssicherung der SED nach innen und die Verteidigung der „sozialistischen Gesellschaftsordnung“ nach außen.

Für die Mehrheit der einst in Prora stationierten Rekruten der sozialistischen Armee war Prora ein finsterer Ort. Viele einstige Zivilangestellte und höhere Militärs pflegen hingegen Erinnerungen an Kollektivgeist und gute Kameradschaft. All diese Wahrnehmungen der „Ostdeutschen“, die mit dem geplanten KdF-Bad nichts zu tun haben, sind zu respektieren. Gästebücher des ehemaligen NVA-Museums künden von dem Wunsch und Wille der DDR-Zeitzeugen, Prora unter Akzeptanz seiner umfänglichen Geschichte zu entwickeln, wozu selbstverständlich auch das historisch gewachsene graubraune Anlitz gehörte. Westsozialisierte Besucher glaubten, forciert durch den Besuch des „Dokumentationszentrums Prora“ , NS-Flair in Proras Aura erspüren zu können. Dieses war jedoch ebensowenig vorhanden wie im heutigen modernen Seebad Prora.

Die Chance, Prora mit seinem DDR-Flair als echten Erinnerungsort und Mahnmal zu erhalten, ist inzwischen verspielt. Der Bau der Jugendherberge setzte das Fanal für die Umwandlung des Kolosses zu einem modernen strahlendweißen Seebad. Auch das Klientel des Ortes hat sich gründlich gewandelt. Und inzwischen wird diese Entwicklung Proras mehrheitlich begrüßt. Tatsächlich ist die Transformation ein spannender Prozess, der dem Ort Zukunft bietet. Angesichts der herrlichen Strandlage kann man das begrüßen. Allerdings hat der fälschlicherweise nach KdF-Plänen gestaltete Ort seine zum Innehalten gebietende Atmosphäre und letztlich ein ganzes Stück seiner wahren Geschichte verloren. Er hat sozusagen eine „Identitätsstörung“. Widerspiegelt der Koloss nicht auch heutige gesellschaftliche Entwicklungen? Wie auch immer: Diese Website schafft eine notwendige Balance – und der „Prinz von Prora“ reist inzwischen gern ins neue, spannend bleibende Seebad. Der Projektentwickler von Block II , Ulrich Busch, erkannte als erster Eigentümer die Notwendigkeit der Präsenz beider geschichtlichen Epochen. Ein Stelenprojekt vor Block II, hier die Übersicht über die zeitliche Entwicklung der Prora-Anlage in englischer Version, nimmt bereits Formen an.

DenkMALProra – tragender Pfeiler des geplanten Bildungszentrums Prora

DenkMALProra ist die einzige Plattform, die beide Ebenen der Diktatur-Geschichte einer breiten Öffentlichkeit transparent macht - in Wort und Bild. Diese Sammlung, die über etliche Jahre hinweg in einem Klima der Ignoranz entstanden ist, ist ein umso wertvolleres Unterfangen, als bildliche Darstellungen von Prora in der DDR streng verboten waren.

Wichtigstes Anliegen dieser Website ist die Repräsentanz ostdeutscher Erfahrungen im kollektiven Gedächtnis unseres Landes. Ist es nicht bemerkenswert, dass Wolfsburg mit seinem einst für das NS-Regime viel wirkungsvolleren, weil populäreren KdF-Wagen in der heutigen Erinnerungskultur nicht ansatzweise die Rolle spielt wie das geplante KdF-Seebad? Der interessierte Betrachter kann sich nun endlich ein Bild machen von Anspruch und Wirklichkeit des „Kolosses von Prora“.

Die Widerstände gegen das Wachhalten der DDR-Vergangenheit mit all ihren Facetten - letztlich die Integration der Geschichte der ehemaligen DDR-Bürger - war in den Ministerien des Landes Mecklenburg-Vorpommern über all die Jahre des „Kampfes um die Geschichte“  groß. Dennoch ist DenkMALProra längst zu einem tragenden Pfeiler unter dem Dach geworden, unter dem sich die beiden vor Ort agierenden Vereine „Dokumentationszentrum Prora“ und „Prora-Zentrum“ zugunsten eines neu zu errichtenden Bildungszentrums zusammengeschlossen haben. DenkMALProra ist es zu danken, dass auch diese Vereine das Fenster in die umfängliche Geschichte öffnen werden. Während die Wegweiser den Ort noch immer einseitig als „ehemaliges KdF-Bad“ ausweisen, legten bereits die Plattformen www.proraer-bausoldaten.de  (Tobias Bemmann) und www.denk-mal-prora.de  (Dr. Stefan Stadtherr Wolter) das Fundament für eine über die Geschichte der KdF-Planung hinaus reichenden Bildung.  Bereits die Auseinandersetzungen um die bronzene Gedenktafel für die Proraer Bausoldaten (2010) führten zur politischen Einsicht (Politische Memoriale):

„Ehemalige Bausoldaten im 2008 gegründeten Verein Denk-Mal-Prora mahnten die Erinnerung an die Bausoldaten als Bestandteil einer kritischen Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte an. Die Diskussion um die Bewahrung von Überresten aus der Bausoldatenstationierung veränderte die Wahrnehmung des Ortes, von einem NS-Erinnerungsort zu einem Ort mit ,doppelter Vergangenheit’.“

Von der heimlichen Aufrüstung zur friedlichen Revolution

Die DDR schuf aus der Seebadruine die größte Militärkaserne des Landes. Prora wurde zu einem abgeschirmten, heimlichen Ort. 15.000 Soldaten waren hier zeitgleich stationiert.

Transformation KdF-Bad zur Kaserne

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Rohbau der KdF-Anlage geplündert. Insbesondere am Block II sind die Spuren der Demontage deutlich zu erkennen.

KdF-Bad-Planung

Einst sollte Prora das größte Seebad der Welt werden - als eines von fünf geplanten Riesenbädern an der Ostsee. Vier dieser Bäder blieben eine Idee, nur in Prora wurde ein derartiges Erholungszentrum auch in Angriff genommen.
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Propaganda und Verdrängung: Links das geplante KdF-Bad, von dem acht Blöcke begonnen wurden, rechts eine geheime, nur für den internen Gebrauch erstellte DDR-Karte vom Kasernenstandort Prora mit den wieder auf- und ausgebauten Blöcken I bis V (gezählt von Süden (unten) nach Norden (oben)).

Die Karten demonstrieren die Widersinnigkeit der seit 1990 gängigen Bezeichnung „ehemaliges KdF-Bad“. Das Seebad wurde als solches nie Realität. Stattdessen entstand unter Mühen tausender, zumeist nicht ganz aus freien Stücken nach Prora einberufenen jungen Männer, ein völlig anderer – geheimer – Ort aus den vorhandenen Ruinen. Zahlreiche Gebäude, die landseitig der Blöcke im Laufe der 40 Jahre entstanden waren (Karte rechts) änderten das Antlitz des Geländes zusätzlich. Nahezu alle wurden nach einem Grundsatzbeschluss (1997) abgetragen; das vermeintliche "KdF-Bad" freigelegt.

Erstaunlich: Heutige mediale Darstellungen des Ortes halten die einst mit Stacheldraht abgeschirmte Großkaserne meist so verborgen wie die offiziellen DDR-Karten. In diesen war die Kaserne des Kalten Krieges nicht eingezeichnet; bildliche Darstellungen verboten. Umso mehr hätte die DDR-zeitliche Ausstattung des Geländes interessieren sollen.

Auch aus sozialgeschichtlicher und architekturhistorischer Perspektive ist die tendenziöse, NS-Propaganda aufgreifende Bezeichnung „KdF-Bad“ für den „Koloss von Prora“ falsch und verwerflich: Die Übersicht unten demonstriert den baulichen Zustand im Jahr 1945 und im Jahr 2009. Angesichts heutiger Bewertungen mag erstaunen, wie wenig doch von den ursprünglichen Plänen tatsächlich umgesetzt worden war: Zu keinem Zeitpunkt stellten die einzelnen Flügel (heute Blöcke) einen baulich geschlossenen Komplex dar. Keines der Gemeinschaftshäuser zwischen den Blöcken gelangte je zur Ausführung. 

Die nach Plünderungen beschädigten Ruinen wurden in der DDR nach neuen Maßgaben repariert, die  Blöcke erhielten ihren Innenausbau und den graubraunen Rauputz, der Dank Bemühungen seitens DenkMALProra in zwei Höfen des Blocks V sichtbar bleiben soll - Symbol der notwendigen Korrektur heutiger Darstellungen des Ortes:  Einen Großteil der früheren DDR-Bürger tangierte Prora indirekt oder gar direkt.


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