Wohin damit? Museale Utensilien aus dem „Versorger Mukran“, 2011

„Der Prinz von Prora“ – Stärker als der Zeitgeist

Über 15 Jahre hinweg, in einem Klima der Verdrängung, dokumentierte Historiker Dr. Stefan Stadtherr Wolter Spuren der international bedeutsamen Geschichte des Kalten Krieges von Prora und kämpfte um ihre Einbeziehung in die Gestaltung und Deutung des heutigen Ortes. Sein Credo: Aufstieg und Niedergang des zweiten deutschen Staates (1949-1990) sind eng mit der Geschichte des Kolosses von Prora verknüpft. Die Aufarbeitung der DDR, das Verstehen der DDR-Gesellschaft, ist ohne die Einbeziehung der Rolle ihrer vielen militärischen und paramilitärischen Einheiten nicht denkbar. Prora war nicht nur einer der bedeutenderen Militärstandorte in der DDR, die Anlage war auch eine der Keimzellen der Nationalen Volksarmee.  

Vom „König von Rügen“, dem „Prinzen von Prora“ und dem Reich(tum) der Erinnerung (Interview)

Ein herrschaftlicher Titel, unter den Du dieses Interview gestellt sehen möchtest…

 Ja, es ist ja auch eine von verschiedenen Herrschaftssystemen geprägte bauliche Anlage, die sich da an der Ostküste Rügens auftut. Aber der Titel spielt nicht nur auf die Architektur an. Über sie den Ort bewerten zu wollen, kann leicht in die Irre führen. Denn das, was geplant war, was wir sehen und was wir meinen zu sehen, sind völlig verschiedene Dinge - geprägt von unserem Wissensstand. Die Planungen beispielsweise berücksichtigten zu einem großen Teil den Zeitgeist der 1920er/30er Jahre. Mir geht es vielmehr um einen Schatz. Und zwar den Erfahrungsschatz, über den die Anlage aus zwei Diktaturen – vor allem aber aus der sehr viel längeren DDR-Geschichte verfügt. Wenn man ihn denn hebt. 

In Prora begegnen wir nicht dem Seebad der 1930er Jahre. Einzig der seinerzeit fortschrittliche Stahlbetonskelettbau verbirgt sich unter dem späteren Putz. Ohne die DDR-Ausbau- und Nutzungsgeschichte wäre von Prora nichts als eine zusammenhanglose Ruinenlandschaft übrig geblieben. Was nach 1990 vorgefunden wurde in diesem einst geheimen und abgeschirmten „Reich“ war eine über zwei DDR-Generationen hinweg entstandene Kasernenlandschaft. Maßgeblich initiiert im Zeitalter des Stalinismus. Auch dieses schätzte Monumentalbauten, wie an der heutigen Karl-Marx-Allee, früher Stalinalle, in Berlin ersichtlich ist. Prora wurde zu gleicher Zeit aus dem KdF-Torso geschaffen, im Sinne der DDR-Hymne: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt.“ Als Zukunft erschien eine kommunistische Gesellschaftsordnung – und die sollte Prora verteidigen. Der Ort wurde zu einem antifaschistischen Bollwerk gestaltet. Und interessant war weniger die Architektur – beängstigend öde und grau – als vielmehr deren Ausgestaltung: darunter auch all die Malereien und Grafiken an den Wänden. All das eben, was in den vergangenen zehn Jahren so rücksichtlos entsorgt wurde wie etwa in Berlin der gesamte „Palast der Republik“. Diese Spuren des Kolosses zeugten vom Anspruch des Systems wie auch dem Widersetzen; sie kündeten von dem, was in Prora über fast ein halbes Jahrhundert hinweg vor sich ging und was sich geistig in zahllosen Briefen der Rekruten niederschlug. 

Ist dieser Anspruch oder Ausdruck Proras nicht ein Widerspruch zu aristokratischen Titeln?

Der gesamte Ort ist ein Widerspruch in sich. Hatten die Nationalsozialisten nicht das Bauhaus verpönt, das sich in mancherlei Planungsfacetten des Ortes widerspiegelt? Die heutigen Bauherren haben erkannt, dass Prora so hässlich eigentlich nicht ist. Und ist es nicht ein Widerspruch, Gigantismus anzuprangern, den Ort aber ganz in diese Richtung zu entwickeln? Ist es nicht ein Widerspruch, an Prora über den Nationalsozialismus aufklären zu wollen und ihn mit Nazi-Vokabular gleichzeitig zu vermarkten? Und ist es nicht ein Widerspruch, in Prora einen Lernort zu Demokratie aufbauen zu lassen von Leuten, die die Meinungsvielfalt offensichtlich ablehnen und namentlich mich bekämpfen bzw. mir trotz meiner anerkannten Arbeit keine Tür zu ihren Gremien vor Ort öffnen? Entschuldigung, ich komme vom Thema ab: Tatsächlich gab es den „König von Rügen“ und den „Prinzen von Prora“ - und zwar unter den zahlreichen „Nicknames“, die in der Armee üblich waren. Und jetzt lüfte ich das Geheimnis der Titel: „König von Rügen“ wurde wegen seines  autokratischen Herrschaftsstils jener genannt, der dafür sorgte, dass die KdF-Ruinen zu einer der größten Kasernen der DDR um- und ausgebaut wurden: Oberst Werrner Pilz (1917-1969). Unter seiner Ägide war der Ort ganz und gar nicht lustig. Rund 19.000 Mann waren um 1951/52 damit befasst, aus den Ruinen, die fast ein Jahrzehnt dem Verfall preisggeben waren, zu Kasernen vorläufig zu vollenden.  

„Prinz von Prora“ wurde ganz unabhängig davon gut 35 Jahre später jener genannt, der die Erinnerung an diesen Prozess, das gigantische Militärgebilde Prora und dessen Auflösungstendenzen, einforderte. Das bin ich. Unterschiedlicher könnten der „König“ und der „Prinz“ wohl kaum sein.

Du warst in Prora als Bausoldat stationiert?

Ja - als einer der jüngsten. Denn norrmalerweise wurden die Waffenverweigerer erst um die Mitte 20 eingezogen, wenn also die meisten, wie in der DDR üblich, schon eine eigene Familie hatten. Das war ein besonderer Akt der Schikane. Meinen Titel erhielt ich, weil ich so verträumt die Schönheit Rügens wahrnahm, in der Freizeit malte, schrieb und dichtete. Letzteres mache ich noch heute. Ach nein, und dass ich nicht mehr träume, kann ich auch nicht behaupten. Mein Traum, dass meine Ansichten bezüglich der Bewertung Proras sich doch noch einmal durchsetzen, ist ungebrochen… 

Und diese andere Bewertung der Geschichte des Ortes  hat auch mit dem „König von Rügen“ zu tun?

Unbedingt.  Als der erste und einzige Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, vom sowjetischen Machthaber Stalin 1952 die Order erhielt  "Volksarmee schaffen - ohne Geschrei“, war der Umbau der KdF-Ruinen zur Kaserne bereits in vollem Gange. 1953  waren  Soldaten aus Prora an der Niederschlagung des Volksaufstandes in Berlin beteiligt, 1961 rückte ein bedeutendes Kontingent Panzer verschiedener Einheiten von Prora aus  zur Absicherung des Mauerbaus nach Berlin ab. Eine Vielzahl militärischer Spezialfächer der 1956 gegründeten Nationalen Volksarmee wurden in Prora gelehrt, unter anderem für Grenzschützer (heutiger Block II). Um diese Zeit entstand im heutigen Block V (Jugendherberge) das erste Fallschirmjägerbataillon, zunächst verdeckt, seit 1962 offiziell. Ab 1982 entstand an jener Stelle die größte Einheit von Waffenverweigerern in der DDR - die Bausoldaten.  

Ein Spannungsbogen im Wortsinn. Und spannend, sich derartig wie Du gegen den Mainstream zu stellen. Immerhin ist Prora ja weltweit als „KdF-Bad“ bekannt. 

Ja und das ist eben der Fehler. Man meint den Ort, bezieht sich aber auf die Planungs- und erste Bauphase. Diese wurde bereits durch den Kasernenbau längst überformt. Zwar hat man mit der Entwicklung der Anlage nach KdF-Plänen fast alles DDR-zeitliche entsorgt und den Rohbau nahezu auf das zurückgetrimmt, was zum großen Teil vom geplanten Seebad noch übrig gewesen ist. Aber damit kann man Geschichte nicht ungeschehen machen. Den Begriff „KdF“ gab es in der DDR gar nicht mehr. Niemand sprach vom „KdF-Bad“ oder meinte in einem „Nazi-Seebad“ zu sitzen. Man könnte dem vorhalten, dass die DDR die NS-Vergangenheit eben nicht umfassend aufgearbeitet hat bzw. sich in der Tradition der „Antifaschisten“ sah und die Nazis im „Westen verortete.  Doch war das KdF-Bad vor allem deshalb kein Thema, weil aus den Ruinen eben ein gänzlich anderer Ort entwickelt worden war.  Viel zu präsent war der militärische Drill, die in jedem Winkel präsente Ideologie,  das Grundwesen einer Diktatur, wenn auch unter anderem Vorzeichen. Ich stelle die NS- und DDR-Zeit nicht auf eine Stufe, allerdings dürfen die Opfer des SED-Regimes nicht weniger wert sein. Und derer gab es in der DDR an diesem Ort weitaus mehr zu beklagen.

Was noch heute kaum kommuniziert wird: Über die gesamte Anlage hinweg geht die Zahl der Todesfälle durch Unfall und Suizid in die Hundert; allein im Gelände von Block V waren es mehr als zwei Dutzend. Leider ziehen „Hitler“ und seine vermeintliche Seebad-Ambition mehr als eine „Stalinistische Großkaserne“.  Ob das Seebad tatsächlich eine Idee Hitlers gewesen ist, vermag ich nicht zu beurteilen.  Bekanntlich hielt sich Hitler aber lieber in den Bergen auf, er war ja nicht Kaiser Wilhelm II. Übrigens war Prora nicht nur in der DDR, sondern auch international als Kaserne bekannt. Ich erinnere an Block IV. Die Auseinandersetzung um die richtige Bewertung des Ortes steht meines Erachtens noch immer am Anfang.

Worin siehst Du die Widerstände vor Ort?

Wir haben es mit einem komplexen Gebilde des Verdrängens und Vertuschens zu tun. Es war ungemein bequem, den Ort nach der politischen Wende einseitig als „KdF-Bad“ zu deklarieren: Ein Ort, der zum Seebad werden möchte, besinnt sich auf seine ursprünglichen Ambitionen. Viele einst ins System Eingebundene waren sozusagen aus dem Schneider. Sie mussten sich angesichts mancherlei Abgründe der DDR, die Prora offenlegte, nicht erklären. Dazu gehört die ehemalige Landrätin Kerstin Kassner (Die Linken), eine Offizierstochter, die über den Verein Prora-Zentrum noch heute den Kurs vor Ort mitbestimmt. Andere verdrängten, weil sie zum Teil eine schlimme Zeit in Prora erlebt haben. Es wäre Aufgabe der Politik in einer Demokratie, eine gerechte Kultur des Erinnerns zu schaffen. D.h. Raum zu schaffen, in dem beide geschichtlichen Phasen mindestens gleichrangig verortet sind. Doch das hat sie bis heute nicht getan. Und hier spielen wohl leider auch tourismusstrategische und wirtschafliche Interessen eine Rolle. Aber zurück zu den Kräften, die die DDR an diesem Ort offenbar zu Schönen beabsichtigen und das Interesse allein auf die NS-Vergangenheit lenken. Dazu gehört die Chefin des Dokumentationszentrums Prora, wie  jüngst ein Interview in einem dem linksradikalen Spektrum zuzuordnenden Magazin (jungle.world) zu erkennen gibt. Das ist perfide jenen gegenüber, die den Kalten Krieg an dieser Stelle nicht oder wie auch immer verletzt überlebt haben.

Prominentes Beispiel  ist die Umgestaltung des ehemaligen Schießplatzes neben der heutigen Jugendherberge in Block V. Im Jahr 2002 bereinigte ein Gemeinschaftswerk von Bund, Landkreis Rügen und vor Ort tätigen Institutionen das Areal neben der einstigen Bausoldatenkaserne von der Altlast der DDR und setzte eine Skulptur, die bis dahin das Gelände des ehemaligen NVA-Erholungsheims geziert hatte, vom südlichen Ende der Anlage dorthin um. Fünfzehn Jahre später steht auf der offiziellen Homepage des Seebades Binz: „Im Jahr 1976 ist die Bronze-Plastik ›Sportler‹ von Jürgen Raue (Berlin) auf der VIII. Kunstausstellung der DDR gezeigt und dann in Prora auf der Aussichtsplattform in Höhe der heutigen Jugendherberge eingeweiht worden. Sie wird umgeben von einer einmaligen Kulisse aus Ostsee, feinstem Sandstrand, Blick zur Kreideküste und der wohl längsten Jugendherberge in einem ganz besonderen Gebäude.“  Dieses nachträglich gestaltete Ensemble wurde auch noch unter Denkmalschutz gestellt.

Systematisch wurde die DDR-Geschichte entfernt oder geschönt. Wenn diese Marginalisierung Hand in Hand geht mit einer ausschließlichen Dämonisierung der NS-Zeit in Prora, dann wird das gefährlich. Die Jugendherbergseröffnung war so ein Fall. Hier stellten die Medien fast unisono die falschen Fragen an den Ort. Kaum einer erfuhr etwas von der Drangsal, die etliche Bausoldaten und andere Rekruten in jenen Räumen erlebt haben. Und nachdem solches vonseiten DenkMALProra heftig angeprangert worden war, und zudem die gern von den Medien erwähnten NS-Zwangsarbeiter in keiner größeren Zahl als anderswo im Deutschen Reich ausfindig gemacht werden konnten, wurden plötzlich die NS-Polizeibataillone (Ordnungspolizei) auf einen Sockel gehoben. Natürlich sind diese Einheiten zu thematisieren, weil sie später (wenn auch nicht direkt nach ihrer Zeit von wenigen Wochen in Prora) in den Völkermord verwickelt waren. Doch sind sie ebenfalls kein Alleinstellungsmerkmal für den Ort. Sofern in den Herkunftstädten (etwa dem nach Bremen benanntem Polizeibataillon) genauso an diese Geschichte erinnert wird, dann will ich nichts dagegen sagen.  Da dies aber nicht der Fall ist, muss davon ausgegangen werden, dass auch diese NS-Facette Proras instrumentalisiert wird, um die DDR-Geschichte, wenn sie schon nicht „totzukriegen“ ist, zu bagatellisieren. Und so etwas zieht die gesamte Erinnerungskultur in den Schmutz. „Aufklärung“ über die NS-Zeit kann sich somit ins Gegenteil verkehren. Am Ende berührt sie nicht mehr. Gefährlich! 

Du hast immer wieder Erkennungszeichen in der Anlage eingefordert - Zeitfenster in die Geschichte. Ist das gelungen?

„Die Geschichte laufe nicht davon“, sagte einmal ein Zeitzeuge. Oh doch, sie hat sogar schnelle Beine, muss darauf geantwortet werden. Gegenwart und Zeitgeist sind oft übermächtig. ERINNERN muss ganz aktiv betrieben werden, denn das menschliche Gedächtnis ist kurz. In der Jugendherberge konnten zwar minimale Spuren bewahrt werden, doch die werden als solche nicht zu Bewusstsein gebracht. Ich hoffe nun auf das Bildungszentrum, in dem ein an die Wand gemaltes Wandbild 2007 gerettet werden konnte, das ist jetzt 15 Jahre her. Interessanterweise begann in diesem Block V der Kampf ums Erinnern – und  hier schließt sich nun der Kreis. In dieser Zeit konnte für Außenrelikte im Gelände Sensibilität geweckt und etliches unter Denkmalschutz gestellt werden. Etwa das Otto-Winzer-Denkmal mit Kontrolldurchlass vor Block IV (2012), die Arrestzellen im KDL-Gebäude vor Block V, je eine Tribüne vor Block III und IV und schmiedeeiserne Treppengeländer in Block I. Was in Block V an Spuren erkennbar bleibt, wird sich zeigen. Mir ging es immer auch um das Bewahren atmosphärischer Räume. Das wird nicht mehr zu erreichen sein.  Dafür bemühe ich mich umso mehr um eine erlebnisorientierte Erzählung auf Grundlage der Zeitzeugenberichte. Froh bin ich darüber, so vieles dokumentiert zu haben. Lacht. Obgleich ich während des Umbaus zum heutigen Seebad oft genug davon gejagt wurde. Es ging in Prora immer darum, missliebige Personen wegzubeißen. 

Du hast Deine persönliche Geschichte aufgearbeitet, warum hast Du Dich damit nicht zufrieden gegeben?

Das Buch „Der Prinz von Prora“ war sogar ein enormer Erfolg. Es war der Verlagsbestseller 2006 und wurde zehn Jahre später in den Oxford German Studies analysiert. Dieses Buch erzeugte auch eine überraschend große mediale Resonanz. Nur  dieser Erfolge wegen machte eine sog. Prora-Trilogie Sinn, die zu jenem Zeitpunkt vor allem Zeitzeugen der DDR-Geschichte interessierte. Zufrieden geben konnte ich mich nicht, da viele, viele Menschen auf mich zukamen - mit ihren Geschichten. Ich wurde so zu so einer Art Leitfigur des Erinnerns. Daher fühlte ich eine Verantwortung, die Verortung dieser Geschichte im allseits propagierten „KdF-Bad“ einzufordern. Als ich sah, dass dies nicht oder nur halbherzig geschieht, machte ich mich selbst auf den Weg und dokumentierte die Anlage von vorne bis hinten. Zu all dem muss  ich sagen, dass dies  kein „Freizeitvergnügen“, sondern oft eine Last war. Ich hätte mir Angenehmeres vorstellen können. Mein Buch „Asche aufs Haupt“ (2012) gibt darüber Auskunft. Doch ich musste es quasi tun, weil es kein anderer tat.  Eine Wahnsinnsarbeit, die lange Zeit kaum jemanden Interessierte. Jetzt liegen nun die Ergebnisse vor. Und das Interesse wächst.

Wächst auch das politische und mediale Interesse?

Durch meine Bücher und die universitäre Beschäftigung mit ihnen wuchs bereits das Einsehen der Politik. Und auch die Wissenschaft erkennt allmählich das Potenzial des Ortes über die Nazi-Planungen hinaus. Das Buch  „ Der Prinz von Prora“ wurde zum Beispiel Gegenstand einer wissenschaftlichen hermeneutischen Unterschung – mit dem Ergebnis, dass es sich bei der Bausoldatenkaserne in Block V um eine Totale Institution (Erving Goffman) handelte. Block V also ähnlich einem Gefängnis war. Was ich schmerzlich erfahren musste: Auch in einer Demokratie tut Politik sich schwer, Fehler einzugestehen; selbst das Geraderücken ihrer Fehler. Späte Einsichten aufgrund unaufhaltsamen Forderns von meiner Seite schreibt man sich am Ende selbst auf die Fahnen. Und eine Zusammenarbeit mit mir wird von allen Beteiligten vor Ort kategorisch ausgeschlossen. Offenbar scheut man mein Hintergrundwissen und unzersetzbares bürgerschaftliche Engagament.

Bestes Beispiel ist das jetzt entstehende Bildungszentrum: Den offiziellen Verlautbarungen zufolge haben diesen nur die beiden vor Ort agierenden Vereine eingefordert. Doch meine Vorstellungen habe ich bereits in den Jahren 2007-10 formuliert. 2014 forderte ich zudem die Beibehaltung des graunbraunen Rauputzes an Block V, wie es nun für die Höfe 7 und 8 angedacht ist. Ich unterrmauerte meine Vorstellungen mit einem Vortrag an der Universität Rostock und schrieb einen 2018 im Links-Verlag erschienenen wissenschaftlich fundierten Aufsatz zum Umgang mit Prora. Meine mühsam erkämpften Erfolge, oft im Alleingang, werden verwässert.

Oder nehmen wir die Petition 2016/17, die Markus Georg Reintgen, Anett Hannemann und ich auf den Weg brachten. Rund 16.000 Unterzeichner sprachen sich damals gegen die vollständige Privatisierung von Block V aus. Es ist ein Unding, dass das heute nirgendwo erwähnt wird. Oder aber schauen wir auf die Auszeichnung, die Prora-Zentrum im Jahr 2014 erhalten hat, weil es sich mit der unsererseits jahrelang geforderten und mit Fördermitteln endlich bewerkstelligten Bausoldaten-Ausstellung „in besonderer Weise verdient“ gemacht habe. In der Jury saß Herr Schmidt von der Landeszentrale für politische Bildung, Schwerin, der den Verein seit Jahren protegiert. Wie zuvor die DDR-Geschichte weggelassen wurde, so eliminiert man jene, die unablässig diese einforderten. Eine Zusammenarbeit wurde mehrfach ausgeschlossen; mit meinem hartnäckigen Dranbleiben rechnete niemand. Solches geschieht vonseiten jener Institutionen, die Demokratie, also Partizipation fördern wollen. Man hat es sogar geschafft, die ehemaligen Bausoldaten zu entzweien, nach dem römischen Erfolgsrezept „divide et impera“. Der mühsam in Gang gesetzten Zeitzeugensuche und -debatte wurde dadurch das Wasser abgegraben.

Geschichten, wie ich sie erlebte und glücklicherweise von Beginn an notiert habe, destabilisieren Demokratie.  Wer sich mit diesen Schriften befasst erfährt viel über die erschütternde „dritte Geschichte“ von Prora, also der von 1990 bis zur Privatisierung. Die politischen und medialen Statements zum Ort muten vielfach an wie eine Diktatur der Wahrnehmung des Ortes. Offenbar mit dem Ziel, die Geschichte der DDR und deren Abwicklung flach zu halten. Nachträglich werden Menschen ihrer Biografien beraubt. 

Leider sind also auch meine Erfahrungen mit den Medien nicht die besten. Ich möchte mal angesichts des vorbelasteten Begriffs „Lügenpresse“ vorsichtiger den Begriff „Tendenzpresse“ verwenden. Vieles wird da nicht nur unterschlagen, sondern es stimmt auch einfach nicht. Dafür haben gerade Ostdeutsche ein nur zu feines Gespür. Offenbar getraut sich in der Politik niemand, die häufig an billige Boulevardpresse erinnernde KdF-Berichterstattung zu kritiseren. Andererseits drucken Presseagenturen quasi Verlautbarungen aus den Ministerien ab. Wenn die Medien ihre Aufgabe des kritischen Hinschauens nicht wahrnehmen, dann ist dies zusätzlich demokratieschädigend.

Dieses gesamte Netzwerk des Verdrängens und Vertuschens zulasten der Geschichte der Ostdeutschen, einschließlich der politisch offenbar weisungsgebundenen Denkmalbehörden, ist ein spannendes Kapitel für die Aufarbeitung. Bemühungen um eine Instanz, die mal ein gerechtes Machtwort spricht, etwa Bundeskanzlerin oder Bundespräsident, führten trotz vielfacher Versuche (Merkel/Gauck) ins Leere. Ich bin gespannt, wie jene, die in diese Prozesse eingebunden sind, ein glaubwürdiges Bildungszentrum aufbauen wollen.

Wie hältst Du das persönlich aus?

Ich habe einen starken persönlichen Glauben und einen langen Atem. Wenn es auch mitunter so gar nicht danach ausschaut, können Dinge sich neu ordnen und ungeahnte Verläufe nehmen. Zeit ist zudem nur eine Kategorie im irdischen Dasein. Darüber hinaus gibt es eine andere Dimension. Und aus dieser lasse ich mich leiten und schöpfe Kraft. Durch meine Familiengeschichte liegt mir Missionarisches in den Adern. Natürlich wollte ich immer wieder aufgeben, doch geradezu mysterienhaft wurde ich immer wieder nach Prora zurückgelenkt. Das ist Gabe und Aufgabe zugleich. Und dazu fällt mir das Psalmwort (Ps. 68,20) ein: „Gott legt mir eine Last auf, aber er hilft mir auch.“ Richtig übersetzt übrigens: „Gepriesen sei der Herr Tag für Tag, der uns trägt, der Gott, der unsere Hilfe ist.“ Die verkehrte Übersetzung zeigt: Auch die Bibel ist ein nicht frei von Interessen historisch gewachsenes Gebilde.  

Du Hast Theologie und Geschichte studiert, arbeitest als Medizinhistoriker und widmest Deine Freizeit der Militärgeschichte. Wie bekommst Du das unter einen Hut?

Das ging nur, indem mir mit wachsenden Aufgaben auch Kräfte zuwuchsen. Und indem sich Dinge auf fast wundersame Weise in die Hände spielten. Als ich den Auftrag zur Recherche eines Rostocker Klinikums erhielt, war dies genau der Zeitpunkt des spannenden Umbaus von Block II.  In jeder freien Minute fuhr ich hinüber nach Prora zum Dokumentieren. Recherchen etwa zur Verdrängung der Diakonieschwestern aus dem Kreiskrankenhaus Merseburg machten mir klar, wie Systeme funktionieren, die „Störenfriede“ lahmzulegen beabsichtigen. Und wie aufrechte Menschen ihren Weg dennoch gehen. Ich zog daraus Erkenntnisse zur Einordnung meiner Lage – bemerkenswerterweise sowohl in der DDR als auch heute!  Am schlimmsten ist es, wenn man sich Ungerechtigkeiten nicht erklären kann. Oder nehmen wir meine Schriftenreihe Denk-MAL-Prora: Sie zeigt, wie sich viele Themen in einem weiteren Sinne mit Prora verbinden lassen. Andererseits versuchte ich durch Prora Gelerntes in meiner Geburtsstadt Eisenach anzuwenden: Als in einem zum Mehrzweckgebäude umgebauten kirchlichen Haus ein Bibelspruch aus der Zeit der Erweckungsbewegung  zum Vorschein kam, wollte ich ihn ebenso präsent halten wie manch einen Slogan in Prora. Er wurde leider auch nicht geschützt, sondern übertüncht.  Bezeichnenderweise waren dies die Worte: „getrost und unverzagt“.

Den Deutschen, ihrer Illusionen und Utopien mehrfach verlustig  gegangen, fällt es wohl schwer, aus ihrer Historie noch einen Wert abzuleiten. Fast unmöglich erscheint es, Visionen zu hegen – vor allem, wenn diese sich aus historischen Wurzeln speisen sollen. Die Mehrheit lebt geschichtsvergessen im „Hier“ und „Jetzt“. Wenn dann jedoch, wie im Falle des Schlossneubaus in Berlin oder dem erst jetzt weithin nach KdF-Plänen entstehenden Seebad Prora, Hüllen des vermeintlich Spektakuläreren in die Gegenwart integriert werden, beginnt diese „Geschichtslosigkeit“ nicht nur ästhetisch langweilig, sondern auch gefährlich zu werden. Es ist an der Zeit, staatlicherseits echte Identifizierungsräume zu schaffen, in denen sich Menschen mit ihren Biografien wirklich öffnen können. Ich hoffe dass dies bei Block V, an dem die Sanierung Proras die vierte Phase der Geschichte des Ortes eröffnete und an dem sich der Bogen nun am Ende schließt, noch gelingt. DenkMALProra hat jedenfalls die  Grundlagenarbeit dafür geleistet. Die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte, die von Orten wie Prora ausgehend geprägt wurde, hatte für das gesamte heutige Deutschland Strahlkraft. Kaum ein Block zeigt den Spannungsbogen deutlicher als Bock V - von der heimlichen Aufrüstung  zur Friedlichen Revolution: Die erfreuliche Überwindung der deutsch-deutschen Aufrüstung im Kalten Krieg ist das, was wir aufgrund der Opfer nicht vergessen wollen. Die von den ehemaligen Waffenverweigerern ausgehenden Impulse zu Friedfertigkeit und dem gewaltlosen Widersetzen ist jenes, was als lebendiger Teil der (Kirchen)-Geschichte in die Zukunft weisen sollte. 

Ein schönes Schlußwort, ich bedanke mich für das Interview.

Das Interview führte Christhard Kunze, Garten- und Landschaftsplaner

Zeitstrahl: Wirken von DenkMALProra

Impressionen aus dem Kampf ums Erinnern
Kulturzeit, 2014 „Stefan Wolter betreibt Denkmalpflege auf eigene Faust.“ WDR Zeitzeichen, 2016 (ab min. 10) „Als das Gewissen geprüft wurde“, 2017 (DDR/Prora ab min. 27.50) Der Koloss von Prora – aus Braun wird weiß, Feature von Alexa Hennings 2019 (MDR) Leserbrief Dr. Stefan Stadtherr Wolter zum „Erholungsort Prora“, 2018