TH10-9 (Lido-Verando)
Im Abschnitt der heutigen Häuser Lido, und Verando etablierte sich im Jahr 1969 die Raketenausbildung sowie die Fachrichtung Panzertechnik der Technischen Unteroffiziersschule.
Im Parterre, hinter zweiflügeligen Toren, standen bis in die 1980er Jahre hinein sogenannte Schnittmodelle von Panzern und Schützenpanzerwagen, an denen sich deren Funktionsweise studieren ließ. Die ersten beiden Obergeschosse waren der theoretischen Ausbildung und Bürozwecken vorbehalten. In den oberen Geschossen erstreckten sich die langen Flure mit den Unterkunftsräumen der Soldaten. Die großen, noch aus der Rohbauphase des Blocks stammenden Säle waren in den 1960er Jahren in einzelne Zimmer aufgeteilt worden. Wie in der gesamten Kaserne nutzten auch hier die Soldaten einen Gemeinschaftswaschraum und ein Gemeinschafts-WC. Die sanitären Anlagen hatten sich seit den 1950er Jahren wenig verändert.
Bauliche Entwicklung der Häuser Lido-Verando
Raketenausbildung:
Das Raketenausbildungszentrum 40 (RAZ-40) entstand am 1. Januar 1977 in den heutigen Häusern Lido und Verando. Es hat eine längere Vorgeschichte (siehe unten). Das RAZ-40 diente der Ausbildung von Soldatenspezialisten und zur Heranbildung von Unteroffizieren der Raketentruppen der NVA-Landstreitkräfte. Zudem wurden Qualifizierungslehrgänge für Fähnriche und Offiziere durchgeführt. Die Raketenstarts fanden im Raum Berlin statt. Operativ-taktische Raketenstarts wurden in Kasachstan durchgeführt.
Die von der Sowjetunion an die DDR verkauften Artillerieraketen ließen sich auch mit atomaren Sprengköpfen bestücken. Wie viele sowjetische Atomsprengköpfe in der DDR lagerten, ist nicht bekannt. US-Atomsprengköpfe waren ebenfalls jahrzehntelang in Depots in der Bundesrepublik eingelagert – in kleiner Zahl bis heute.
Längere Vorgeschichte
1. Mai 1963: Aufstellung der Artillerieabteilung AA-12 in Bad Klosterlausnitz; Unterstellung Chef Raketentruppen Militärbezirk V
7. Oktober 1967: Umbenennung in Raketenausbildungszentrum RAA-12 zum Tag der Republik (Gründung der DDR)
2. November 1969: Verlegung nach Prora, Angliederung an die Technische Unteroffiziersschule
Die 1969 verliehene Truppenfahne befindet sich heute im Militärhistorischen Museum Dresden.
1. Dezember 1972: Umbenennung in RAA-25. Kommandeur der Abteilung für taktische Raketen ist Oberstleutnant Müller. Auf dem Sprengmittelplatz auf der Halbinsel Buhlitz wird im Zuge der internationalen Manöverübung „Waffenbrüderschaft 72“ des Warschauer Paktes (1972) eine Atomexplosion simuliert.
1. November 1977: Zusammenlegung mit der in Stallberg stationierten RAA - 15 (operative Raketen) zum Raketenausbildungszentrum 40 (RAZ-40) unter Kommandeur Oberstleutnant Martin. Das Raketenausbildungszentrum stellte die personelle Auffüllung der Raketentruppen der Landstreitkräfte als selbständiger Truppenteil sicher. Ende September 1978 erfolgte der 1. Raketenstart durch die Einheit Pilz.
Raktenausbildung als Teil der MTS
„Am Raketenausbildungszentrum 40 in Prora wurde der Einsatz von Artillerieraketentypen geschult und geübt: Die „taktische“ Rakete „9M21“ (auch „LUNA-M“, Varianten „B“, „E“ und „F“, NATO-Bezeichnung „FROG 7“, eine Feststoffrakete auf dem technischen Stand von ca. 1964 mit 2,5 Tonnen Startgewicht, 65 km Reichweite und einem 450 kg schweren konventionellen Sprengkopf, Bestand bei der NVA 1990: 256 Stück) und die „operativ-taktische“ Rakete „8K 14/R 300“ (NATO Bezeichnung „SCUD-B“, eine Flüssigkeitsrakete auf dem technischen Stand von ca. 1967 mit 5,9 Tonnen Startgewicht, 300 km Reichweite und einem 990 kg schweren konventionellen oder atomaren Sprengkopf, Bestand bei der NVA 1990: 144 Stück).“ Zit. nach Wernicke/Schwartz: der Koloss von Prora auf Rügen, 3. Aufl. 2015; S. 95. Weitere Infos, insbesondere zu den Einheiten: http://www.raz-40.de/
1. Dezember 1986: Das Ende der Ausbildung von Soldaten für Spezialverwendungen in sechsmonatigen Lehrgängen reduzierte ab 1986 die Anzahl an Auszubildenden. Das Raketenausbildungszentrum wurde als Fachrichtung Raketentruppen in die Militärtechnische Schule integriert und Unteroffiziere und Berufsunteroffiziere für taktische und operativ-taktische Raketen ausgebildet.
Die Ausbildungsbasis umfasste zuletzt nach mehreren Umbauten ein Ausbildungszentrum mit fünf Lehrboxen, ein Raketenausbildungsgelände für die gesamte praktische Ausbildung und sechs Spezialklassen. Mit der Abrüstung der operativ-taktischen Raketen ab März 1990 wurde auch die Ausbildung der entsprechenden Verwendungen eingestellt.
Historische Dokumente
Panzertechnik
Die Fachrichtung VII, Panzertechnik, nahm mit Gründung der Technischen Unteroffziersschule am 1. Dezember 1969 ihre Arbeit auf. Sie bestand zuletzt aus vier Kompanien und einer Sicherstellungskompanie.
Bis 1979 erfolgte die Ausbildung von Unteroffizieren zu Instandsetzungsspezialisten und -gruppenführern für die Panzer T-54 und T-55, den SPW 60 PB, den SPz BMP-1 und die Fla-SFL 23- 4. Parallel dazu wurden Berufsunteroffiziere zum Meister ausgebildet.
Ab 1978 Fachschulausbildung
Im Ausbildungsjahr 1978/79 begann die Ausbildung von Fähnrichen im einjährigen Lehrgang. Die Anforderungen der Fachschulausbildung und die Ausbildung an neuer Technik wie dem Panzer T-72, SPz BMP-2, SPW 70 und MT LB erforderten umfangreichere Qualifizierungsmaßnahmen der Ausbilder und eine erneute Erweiterung der Ausbildungsbasis. Der Einsatz von Trainern und Simulatoren ermöglichte auch kompliziertere Instandsetzungen und die Anwendung aller notwendigen Prüf- und Messgeräte. Ziel war die Vermittlung von Fähig- und Fertigkeiten zur Wartung und Instandsetzung.
Um 1990 zählte die Einrichtung zwölf Lehroffiziere, ein Fachschullehrer und 27 Ausbilder, die die Ausbildung von bis zu 250 Auszubildenden in 26 Verwendungsrichtungen anleiteten. In den 20 Jahren des Bestehens dieser Fachrichtung wurden 3.257 Unteroffiziere, 262 Fähnriche und 802 Berufsunteroffiziere zu Meistern ausgebildet. In Qualifizierungslehrgängen wurden rund 2.500 Armeeangehörige weitergebildet.
In nicht großer Zahl wurden auch Grundwehrdienstleistende an die Militärtechnische Schule einberufen, worüber ein Zeitzeugenbericht für die Jahre 1986/87 berichtet.
Zeitzeugenbericht
Am 5. Mai 1986 begann die Zeit meines 18-monatigen Wehrdienstes. Ich war damals bereits über 23 Jahre alt. Da ich nach (zum Glück) reiflicher Überlegung eine in jugendlicher Naivität unterschriebene Verpflichtungserklärung zum dreijährigen Dienst in den Reihen der Nationalen Volksarmee (NVA) zurückgezogen hatte, wurde ich mit der Einberufung zum Grundwehrdienst hingehalten. Nicht, dass mich das zuständige Wehrkreiskommando in Grevesmühlen nur ignorierte. Nein, ich wurde nach meiner erfolgten Musterung gleich zwei Mal zur sogenannten Einberufungsüberprüfung vorgeladen, bei denen mir dann immer gesagt wurde, dass ich damit rechnen muss, in den nächsten Monaten zum Dienst „bei der Fahne“, wie es damals hieß, befohlen zu werden. Ich habe also jedes Mal innerlich von meinem Zivilleben Abschied nehmen müssen und konnte auch keine Pläne für meine berufliche Weiterentwicklung in Angriff nehmen, da dafür der absolvierte Wehrdienst Voraussetzung war. Gezogen wurde ich dann erst nach der dritten Überprüfung.
Wir frisch eingezogenen Angehörigen der NVA hatten uns entsprechend des Einberufungsbefehls morgens beim „Militärpolitischen Kabinett“ des Wehrkreiskommandos Grevesmühlen, in dem übrigens auch die Musterungen stattfanden, einzufinden. Dort nahm uns unser künftiger stellvertretender Hauptfeldwebel (später in alter preußischer Militärtradition bei der NVA „Spieß“ genannt) in Empfang. Er erklärte uns, dass wir von nun an seinem Befehl unterliegen. Er würde uns auf dem Weg zu unserer Dienststelle, das Raketenausbildungszentrum 40 (RAZ 40) in Prora auf Rügen begleiten. Dieser führte uns zunächst mit dem regulären Zug der Deutschen Reichsbahn nach Bad Kleinen. Dort stiegen wir in einen von Dresden kommenden sehr langen Sonderzug ein. Im Gespräch mit den dort bereits sehr zahlreich vorhandenen Fahrgästen wurde uns klar, dass das einzige Ziel dieses Transportes Prora war. Die anderen waren wohl fast ausnahmslos angehende Unteroffiziers- oder Fähnrichschüler der Militärtechnischen Schule (MTS), welche sich auch in Prora befand. Das bedeutete, sie hatten sich zu drei bzw. zehn Jahren Dienst bei der NVA verpflichtet.
Die Stimmung im Zug war doch sehr gedämpft. Einige versuchten sich mit hereingeschmuggeltem Alkohol ein wenig Mut anzutrinken. Ich nicht, denn unsere Begleitung hatte uns unmissverständlich belehrt, dass jeglicher Verstoß gegen das Alkoholverbot bei der NVA durch ihn hart geahndet werden würde. Ich wollte es auf keinen Fall darauf ankommen lassen und schon am ersten Tag unangenehm auffallen. Nach einigen Stunden Fahrt und Aufenthalten zum Zustieg von weiteren Einberufenen kamen wir endlich in Prora an. Der Zug hielt im Bahnhof Prora-Nord. Wir wurden durch ein großes Tor in das Militärgelände geführt. Dort sahen wir zum ersten Mal die gewaltige kilometerlange angsteinflößende Kasernenanlage. Das RAZ 40 lag so ziemlich in der Mitte des Komplexes der MTS und war eine eigenständige Einheit. Dort wurden die Besatzungen für die taktischen und operativ-taktischen Raketentruppen der NVA ausgebildet, also zum Beispiel für die nach NATO-Bezeichnung so genannten SS 20. Wir als Grundwehrdienstleistende waren dazu auserkoren, den Ausbildungsbetrieb durch Hilfs- und Wartungstätigkeiten zu unterstützen. (...) Nach der etwa 4-wöchigen Grundausbildung wurde ich einem Instandsetzungszug zugeteilt und als Ersatz für den zuvor entlassenen Batterieladewart eingesetzt. (...) Eines Tages musste ich mich bei einem Oberstleutnant G. melden. Dieser erklärte mir, dass er mich künftig für besondere Schreibaufgaben, vorwiegend an den Wochenenden, heranziehen würde. Was das für Aufgaben waren, sollte ich auch bald erfahren. (…) Er eröffnete mir, dass es einen Selbsttötungsversuch in einer Schülerkompanie gegeben habe. Er sei der Untersuchungsoffizier für solche Fälle. Auf meine Frage, ob denn die Polizei hinzugezogen würde, bekam ich zur Antwort, das liegt in der alleinigen Zuständigkeit der NVA. Da am Wochenende keine Schreibkräfte im Stab vorhanden seien, und der Befehl bestünde, bei solcherlei Vorkommnissen bis zum darauffolgenden Montag dem Kommandeur, Generalmajor Dörnbrack, schriftlich Bericht zu erstatten, müsste ich mich an die Schreibmaschine setzen und den von ihm vorbereiteten Bericht schreiben. Ich erinnere, dass zu diesem Bericht u.a. der Abschiedsbrief und die Zeugenaussagen gehörten. Die Tötungsmethode war, wie ich übrigens später noch des Öfteren erfahren musste, ein Sprung aus einem der oberen Etagen der Kaserne. (…) Ich wurde dann noch öfters für diese mich nervlich ganz schön strapazierende Spezialaufgabe herangezogen. Meist ereigneten sich solche Sachen ja an den Wochenenden, wenn die in der Regel sehr jungen Leute mal zum Nachdenken kamen. Ursachen waren meist der enorme psychische Druck, hervorgerufen durch den militärischen Drill, persönliche Probleme (z.B. mit der Freundin) und die damit im Zusammenhang stehende nicht vorhandene Chance, die Probleme zu Hause regeln zu können. Die Leute waren ja in der Regel eingesperrt. Ich habe meinen Wehrdienst dann am 31. Oktober 1987 als Gefreiter beendet. Ich glaube, in der Erinnerung verklärt sich sicherlich vieles. Ich habe unter den Soldaten, aber auch unter den Unteroffizieren, Fähnrichen und Offizieren die besten Kameraden aber auch die größten Arschlöcher kennengelernt. Schlimm war es, zu erleben, wie viele junge Menschen gebrochen wurden. Sehr schlimm war es, und daran habe ich noch heute zu „beißen“, miterlebt zu haben, wie junge Menschen, begünstigt durch das „System NVA“, unnötig ihr Leben verloren.
Grundwehrdienstleistender – 1986 (DenkMALProra)