Hof 8 (Künftiges Bildungszentrum 3. OG)
Spur des anderen Geistes: Klubraum mit Wandgemälde
„Langsam steigerte sich die Stimmung in der Kompanie in eine gefährliche Richtung. Ohnmacht und Wut über die Willkür und Unverfrorenheit, mit der hier geherrscht wurde, trugen in hohem Maße dazu bei. (…) Und dann geschah es. Irgendwer hatte die Initiative aufgegriffen und eine gemeinsame Aktion ausgelöst. Die Türen gingen auf, und nach und nach, teils zögernd, teils festen Schrittes traten alle Bausoldaten auf den Gang, um in stiller Andacht dort zu verharren. Einige hielten brennende Kerzen in den Händen, andere beteten still. Ja, sie waren eine Gemeinschaft. Charaktere unterschiedlichster Art: Kluge und weniger Kluge, Anspruchsvolle und Bescheidene, Starke und Schwache, aber doch in so vielen Punkten einig.“
Bausoldat Uwe Rühle gibt aus dem Jahr 1983 ein eindrückliches Zeugnis, intelligenten gewaltlosen Widerstandes, wie er wenige Jahre später auch die Friedliche Revolution bestimmte. In diesem Abschnitt der einstigen Kaserne, in dem 2026 ein Lernort zur Geschichte Proras eröffnen soll, konnte vor Jahren schon ein ganz spezielles Zeitzeugnis aus der Geschichte der Bausoldaten ausfindig gemacht und geschützt werden: In Hof 8, 3. Obergeschoss, hebt sich hinter dem Gemäuer ein bunter, etwa 1 x 1 Meter großer Fleck vom Einheitsgrau der Anlage ab. Eine Wandmalerei, die zum Nachfragen anregt. Was ist das für ein Gemälde, wie kam es zustande? Wer ist sein Initiator, wer der Gestalter? Wie wurde der Raum genutzt? Der Klubraum steht inzwischen für die Bemühung, Authentisches aus der Nutzungsphase des Ortes Prora zu bewahren.
„An der Wand neben mir befindet sich eine große Karte von Rügen und man kann sich kaum vorstellen, daß man so weit von zu Hause weg ist“, schreibt 1986 der ehemalige Bausoldat Stefan Wolter in einem Brief an seine Eltern. Das Wandgemälde in dem nur etwa 20 qm kleinen ehemaligen Klubraum wurde im Jahr 2006 wiederentdeckt – Beginn der Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern zwecks Bewahrung letzter Spuren der DDR-Geschichte in Prora. Einserseits, um an die besondere Geschichte der Waffenverweigerer in der DDR zu erinnern. Andererseits, um der einseitigen Apostrophierung des Kolosses als „ehemaliges KdF-Bad“ etwas entgegensetzen zu können. Die Ausmalung dieses ansonsten leer geräumten Raumes stammt aus dem Jahr 1985.
Belegung des Abschnittes nach Kasernenausbau (1960-1990)
Das Erdgeschoss teilten sich zum geringen Teil der Med.Punkt (Warte- und Behandlungszimmer)sowie die Poststelle (Tür Mitte) und die Militärische Handelsorganisation (MHO). Im 1. OG befanden sich die Räume der Baupioniere (in den 1960er Jahren bis in die frühen 1980er Jahre Speisesaal).
Im 2. OG waren der militärische Stab mit dem Zimmer des Offiziers vom Dienst (OvD) (2.v.l.) und der Baustab „Hafen Mukran“ eingerichtet. Bis 1982 waren dies die Räume des Unteroffiziersausbildungszuges der Fallschirmjäger.
Im 3. bis 5. OG befanden sich zuletzt die Bausoldatenräume. In den Jahrzehnten der Fallschirmjägernutzung waren im 3. OG der Sprengtaucherzug, im 4. OG die Technische Versorgungskompanie und im 5. OG die Judohalle der Fallschirmjäger eingerichtet. Nach Abwicklung des Militärs bewohnten die einstigen Unterkunftsräume Flüchtlinge aus dem Balkan (1992/93).
Bauliche Entwicklung des Hofes 8 zwischen 1970 und 2020
Wo im „Stabshof“ einst die Diensthabenden für den 24-Stunden-Dienst vergattert wurden, erinnerte noch 1998 ein Betonaufsteller an die DDR-Nutzung des „KdF-Bades“. Den Partyrausch 2003 hatte er überlebt, das Jugendevent 2006 räumte auch ihn achtlos beiseite.
Symbol der Nutzungsgeschichte: Klubraum mit Rügenkarte
Der Raum mit seinen dunkelbraunen Betonbalkenunterzügen im Bereich der einst geplanten Liegehalle war am Ende der 1980er Jahre der Klubraum der 2. Baukompanie. Es war der Gemeinschaftsraum für die Freizeitgestaltung, ausgestattet mit einer Schrankwand, darin ein paar ausgewählte Bücher und ein Schallplattenspieler – vermutlich ein Ergebnis der „Mehrleistungsprämien“, die die zivilen Firmen an die NVA abführten. Rechts neben der Tür, gegenüber dem Gemälde, zierte den Raum ein Aquarium mit bunten Fischen. Ein Bausoldat erinnert sich im Virtuellen Museum an den Kompaniechef, „der mit seinen nach außen gekehrten Handflächen (…) mir immer wie ein wandelndes Fass vorkam und den ich noch fassungslos vor mir sehe, als eines Tages das große Aquarium im Klubraum unter lautem Krachen in tausend Teile zersprang und er - unterstützt von uns gläubigen, aber ungeliebten Bausoldaten seine geliebten Fische vom Boden zusammenklaubte“. Auch gab es wohl einige Blattpflanzen in diesem Raum, den mehrere viereckige Tische und gepolsterte Stühle füllten. Er bot nicht mehr als 16 Leuten Platz.
Die Aktivitäten in diesem Raum beschränkten sich in der Regel auf das Briefeschreiben, auf Brett- oder Kartenspiele (gern Doppelkopf) oder aufs Musikhören. Dieser Raum bot keine Privatsphäre. Möglicherweise wurde er sogar abgehört, wie offenbar auch etliche Bausoldatenunterkünfte. Mit dem Fernsehzimmer und der Turnhalle war er jedoch einer der wenigen öffentlichen Freizeit-Räume, die den 120 (!) Soldaten dieser Kompanie zur Verfügung gestanden haben. Weitere Rückzugsmöglichkeiten existierten offiziell nicht, es blieben nur die fensterlosen Kammern des Flures, die Toilette oder der kurze Besuch einer anderen Kompanie, wobei man sich am Tisch des Diensthabenden mit Uhrzeit und Ortsangabe stets zuvor auszutragen hatte.
Hier und da stand in den Fluren auch eine Tischtennisplatte, zudem lud die im DDR-Staat geförderte offizielle „kulturelle Betreuung“ zu seltenen geschlossenen Ausflügen in die Umgebung oder aber zu Filmvorführungen in die „Holzoper“ (nach 1997 abgerissen) ein.
Der Gemeinschaftsraum, einst unter den Fallschirmjägern von den Sprengtauchern bewohnt, wurde nur etwa zwei Jahre (1986–1988) als solcher von den Bausoldaten genutzt. In dieser Zeit soll er auch als Wahllokal für die Volkskammerwahlen 1986 gedient haben. Ende 1988 waren auf dieser Etage die „Heizer“ unter den Bausoldaten untergebracht. Neben dem Hafenbau war die Betreibung der vielen Kohleheizungsanlagen auf der Großbaustelle Mukran ihre vielleicht wichtigste Tätigkeit. Andere Kompanien verfügten über ähnliche Klubräume, doch sie sind inzwischen zerstört. Im Einerlei der immer gleichen Flure und Treppenhäuser erwies sich dieser bemalte Raum als geeignet, Fragestellungen über die jüngere Geschichte anzuregen.
Historische Innenaufnahmen des künftigen Bildungszentrums - Zimmer mit der gemalten Rügenkarte
Die gemalte Rügenkarte
Ältere Generationen erinnert die Karte an die gemalten Landschaftspostkarten mit eingezeichneten Sehenswürdigkeiten der Urlaubsregionen der DDR. In der Tat diente eine solche Karte als Vorbild für dieses Rügenbild. Sie wurde, wie sich später herausstellte, auf Folie abgepaust, mittels Polylux (im Westen = Overhead- Projektor) an die Wand geworfen und dann ausgestaltet.
Fast zwei Jahrzehnte lang interessierte dieser Raum niemanden mehr, das Bild erhielt Kratzer und manche Narbe. Im Sommer 2007 gelang es schließlich, den Raum vor weiteren Randalierern verriegeln zu lassen. Seither begann im Internet die Suche nach den Gestaltern. Bis zum Jahr 2011 ergab sich jährlich ein neuer Erkenntnisstand, wodurch vorherige Informationen zum Teil revidiert werden mussten. Der Initiator (ein in angenehmer Erinnerung gebliebener Offizier) sowie der Ausgestalter Uwe Roscher, beide über das Internet ausfindig gemacht, banden sich erst im Laufe des Jahres 2010 in die Debatte ein − und auch sie mussten Erinnerungslücken einräumen. Historische Aufnahmen von diesem Raum existieren nicht; die älteste bekannte Aufnahme stammt aus dem Jahr 1995 – zu diesem Zeitpunkt war der Raum bereits leer geräumt.
Mit der Rügenkarte weist der für die Bausoldaten der 2. Kompanie gestaltete Raum ein unverwechselbares Ausgestaltungsmerkmal auf – und damit ein letztes direktes Zeugnis aus der Hand eines Bausoldaten, wenngleich die als regimefeindlich ausgelegten malerischen Spitzfindigkeiten (siehe „Spurensuche“) wieder zu verschwinden hatten.
Der ehemalige Klubraum ist als Gesamtwerk zu betrachten und zu schützen: Er verkörpert zum einen das notgedrungene Miteinander von Regimebefürwortern und -gegnern, das Katz-Maus-Spiel im Kampf um die Verteidigung der jeweiligen Position. Zum anderen verdeutlicht dieser Raum, wie sich authentische Relikte zum Aufarbeiten und Lernen anbieten.
Und schließlich: Der Raum korreliert mit der Erinnerungstafel, die im November 2010 an der Fassade der Mehrzweckhalle ihren Platz gefunden hat. Indem sich Uwe Roscher nicht nur beim Malen der Karte, sondern auch vor seinem Werk obrigkeitlichen Anweisungen widersetzte (vgl. Zeitzeugenzitat), weist die Geschichte rund um die Rügenkarte ähnliche Facetten auf wie die Verweigerungsversuche bezüglich des Gelöbnisses. Die Idee Roschers, aus der Militär-Gedenkmünze „etwas besseres“ schmieden zu wollen, erinnert sogar an den Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“, der in den 1980er Jahren die unabhängige Friedensbewegung in der DDR prägte. Das damals verfolgte Symbol findet sich heute auf der kleinen Erinnerungstafel an der Mehrzweckhalle wieder.
Spurensuche rund um die Rügenkarte
Erinnerungen des Vorgesetzten, ehem. Hptm. Nehrdich, 2010:
In Zusammenarbeit mit dem damaligen Kulturoffizier des PiBB Mukran, Hptm. Kühne, habe ich (für einen Klubraum) eine Postkarte der Insel Rügen per Raster auf das Wandmaß vergrößert und in tagelanger Arbeit mit Plakatfarben gestaltet. (…) Als dieser Raum Anfang 1986 geteilt und zu Unterkunftsräumen hergerichtet wurde, musste ein neuer Klubraum geschaffen werden. Dieser wurde über dem damaligen OvD-Zimmer über dem Stab eingerichtet. (…) Ich habe das Wandbild fotografiert und an Hand der Fotos für den neuen Klubraum wieder per Raster an die Wand übertragen. Das Ausmalen hat ein Bausoldat, es kann BS Roscher gewesen sein (an seinen Namen erinnere ich mich, hat er nicht auch Oboe gespielt?) übernommen. In die weitere Gestaltung habe ich mehrere Bausoldaten einbezogen, immerhin sollten sie sich hier ‚wohlfühlen‘. (…) Nach einer weiteren Umgestaltung des Kompaniebereichs der 2. Baukompanie, es kann 1988 gewesen sein, wurde wiederum ein neuer Klubraum in der obersten Etage seeseitig eingerichtet. In diesem dritten Klubraum gab es einen Raumteiler an der Fensterfront, der von einem Bausoldaten aus Naturholz gebaut wurde. OSL Gampe hatte sich damals ziemlich über die unkonventionelle Gestaltung des Raumteilers aufgeregt. Der ehemalige, also der 2. Klubraum, wurde einige Zeit als Unterkunft und später als Lagerraum für die Kompanie genutzt. Daher hat das Bild wohl auch überlebt.“
Erinnerungen des ehem. Bausoldaten Uwe Roscher, 2011:
„Nach einer kleinen Operation am rechten Auge musste ich eine schöne schwarze Augenklappe tragen und wurde für die Zeit der Genesung vorwiegend zu Innendiensten eingeteilt. Kompaniechef Porath beorderte mich für ca. eine Woche in den Armeekindergarten zur Gestaltung von Fensterbildern für die Kinder. Ich versah die ca. vierzig Fenster mit Kindermotiven, renovierte und malte die Kinderbetten und gestaltete für jedes Bett noch ein kleines Bild am Kopfteil. Der Kindergarten befand sich direkt gegenüber des Exerzierplatzes in der Nachbarkaserne Richtung Binz. Oftmals drang das Gebrüll harter militärischer Kommandos bis in den letzten Winkel vor. Wenn frühkindliche Erfahrungen prägend nachwirken, so hoffe ich, dass meine Bilder noch einiges geglättet haben. Im Anschluss begann ich dann, nach einer Idee von unserem Politoffizier Nehrdich, eine Karte von Rügen mit Sehenswürdigkeiten der Insel, Ostsee und Windrose für unseren Kompanieklub zu entwerfen. Nachdem der Entwurf genehmigt war, machte ich mich an die Arbeit und zeichnete die Karte an die Wand. Im Zeichnen kam mir dann noch so manche spitzfindige Idee, welche ich an nicht so offensichtlichen Stellen einfügte. Karte fertig, alles gut dachte ich. Nachdem 2 Tage später ein Major der Stabsetage die Karte wohl eingehender betrachtet hatte war nichts mehr gut! Der Soldat im Schilderhaus am Standort Prora ist ja völlig unmilitärisch dargestellt. Die Füße im Wasser, das Gewehr am Schilderhaus angelehnt, das Käppi auf halbacht und ein schelmisches Lächeln im Gesicht: DAS GEHT NICHT! Die einheimischen Rüganer sind primitiv und trottelhaft dargestellt: DAS GEHT NICHT! Der Militärknast in Dranske war durch ein Gitter im roten Punkt des Ortzeichens vermerkt, und was für eine traurige Fratze schaut da denn raus: DAS GEHT NICHT! Kilometerangabe nach Thüringen und Sachsen ist im Wegweiser verzeichnet: DAS GEHT NICHT! Mit ein wenig Humor konnten die Herren Offiziere nichts anfangen! Aber es sollte noch schlimmer kommen. Am 1.März 1986 jährte sich der Tag der NVA zum 30-igsten und für den späten Nachmittag selbigen Tages war für alle im Innendienst anwesenden ‚Einfinden im Kompanieklub‘ befohlen.Nach ausführlichem Prozedere über den ‚Heroischen Tag der NVA‘ traten wir alle vor, bekamen eine Medaille ‚Zum Gedenken dem 1. Regiment‘ verpasst und sollten uns nun für die große Ehre gebührend bedanken. Mit dem Satz ‚Danke‘ und ‚Ich diene der Deutschen Demokratischen Republik‘! Als einer der ersten drei stand ich vorn und war völlig blockiert, keinen Ton brachte ich raus. Weshalb sollte ein den Wehrdienst mit der Waffe Verweigernder sich für eine ungewollte und zugleich ungeliebte militärische Medaille derart krumm machen. Ich blieb stumm und bei der dritten Nachfrage murmelte ich nur: ‚Eigentlich will ich das Ding nicht‘. Die Reaktion folgte sofort. Die mir für die Gestaltung der Rügenkarte zugedachten drei Tage Sonderurlaub wurden gestrichen! Es wurde darüber nachgedacht, mich für meinen Ungehorsam beim Medaille verleihen und den Aktivitäten zuvor mit einem Tag Besuch des schönen Standortes Dranske zu bedenken. Dann wäre ich selber die Fratze gewesen, die hinterm Gitter steckt. Knast bekam ich dann zum Glück keinen, ,Sonderurlaub auch Passé‘, also alles OK! Die Medaille bekam dann am Abend ohne großes TAM-TAM jeder. Sehr viele Medaillen wurden noch am Abend zum Lüften aus dem Fenster in Richtung Außenrevier Ostsee befördert, wo ich Sie dann am anderen Morgen beim Reinigen vom Außenrevier eimerweise einsammelte. Einige habe ich dann doch behalten, um irgendwann was besseres daraus zu gestalten.”
Tobias Bemmann erzählt im Dezember 2010 im Virtuellen Museum Proraer Bausoldaten unabhängig von dieser Spurensuche:
„Diese minderwertige und kitschige Münze wurde durch das Übergaberitual genutzt, die Bausoldaten zu erniedrigen und zu demütigen. Jeder einzelne Bausoldat musste vortreten, bekam die Münze von einem Vorgesetzten überreicht und musste dann mit dem folgenden Satz laut und deutlich antworten: ‚Ich diene der Deutschen Demokratischen Republik‘. Das erlebte ich nicht als Auszeichnung sondern als schwere Demütigung. Das Ding flog anschließend im hohen Bogen aus dem Fenster Richtung Ostsee. Ein anderer Spati bastelte daraus ein ‚Ufo‘. Soweit ich mich daran erinnern kann, hat es niemand gewagt, die Annahme der Münze zu verweigern. Wäre das als Befehlsverweigerung ausgelegt worden? Ich weiß es nicht mehr.“
Bemühung um Bewahrung
Stefan Wolter, in „Der Prinz und das Proradies“, 2009:
„1995 führte mich der Weg nach Prora zurück, wo ich in Block V noch immer die Rügenkarte an die Wand gemalt fand – so als sei nichts gewesen. Zehn Jahre später entdeckte ich sie abermals, da hatte sie inzwischen Kratzer bekommen. Doch sie blieb vor dem Zerstören bewahrt – einfach, weil man sie vergessen hatte.“
Leserbrief Tobias Bemmann, Ostsee-Zeitung, 2007:
„…Viele ehemalige Bausoldaten sind noch heute traumatisiert durch die schlimmen Erfahrungen und Erniedrigungen, die sie in Prora erlebt haben. Leider gab es auch Bausoldaten, die die physischen und psychischen Repressalien der damaligen Machthaber nicht überlebt haben. Ist das auf Rügen überhaupt bekannt? Im Laufe der 80er Jahre waren viele hundert Bausoldaten dort. Bisher hatten nur wenige den Mut, über diesen Abschnitt ihres Lebens nachzudenken und ihn aufzuarbeiten. Stefan Wolter hat nun mit seinem Buch „Hinterm Horizont allein – der Prinz von Prora“ das Schweigen gebrochen. Immer mehr Proraer Bausoldaten wollen nun auch nicht mehr abwarten, nehmen untereinander Kontakte auf, richten Internetseiten ein (z.B. www.proraer-bausoldaten.de), versuchen nachzuholen, was versäumt wurde. Wenn man jetzt nach den vielen Jahren mit der Aufarbeitung beginnen will, merkt man allerdings schnell, dass es kaum noch Spuren oder anderes Material über diese Zeit in Prora gibt. In keinem Militärarchiv in Deutschland fand man z.B. Unterlagen über meine Person. Selbst in den Stasiakten fehlt diese Zeit komplett, obwohl ich in Prora nachweislich mit der Stasi zu tun bekam. Gleiches berichteten mir auch andere ehemalige ‚Spatis‘. Die NVA-Vorgesetzten und Stasileute haben scheinbar die lange Zeit der ‚Ruhe‘ genutzt, systematisch Unterlagen und Beweise zu vernichten. Auch im Block V in Prora hat man sich viel Mühe gegeben, die Spuren der Bausoldaten zu verwischen. Aus diesem Grund ist die gemalte Landkarte in einem der Räume in Prora so wertvoll. Eines von wenigen originalen Details, die noch aus der Zeit der Bausoldaten übrig blieben.Die Verantwortlichen auf Rügen und in Prora sind gut beraten, die von Stefan Wolter geforderte Gedenkstätte einzurichten! Das sind wir auch denen schuldig, die das System nicht überlebt haben!“
Stefan Wolter in „Die ZEIT“, 2010:
„Es gilt zu retten, was zu retten ist. Schon 2003 hat man Block V zu großen Teilen entkernt. Nicht einmal eine Dokumentation der Räume hat der Landkreis gestattet. Immerhin: Die Isolierzellen haben überdauert. Sie dienen heute als Abstellraum. Anträge auf Denkmalschutz aber blieben ohne Resonanz, Anfragen ans Kultusministerium unbeantwortet. Derweilen hat das Land die Idee aufgegriffen und eine Bildungsstätte ausgeschrieben, als Ergänzung zur Herberge, „in der nördlichen Liegehalle des Blocks V“, wie es im Ausschreibungstext der Landeszentrale für politische Bildung im Rückgriff auf die KdF-Pläne heißt. Bleibt zu hoffen, dass dabei nicht mehr zerstört als bewahrt wird. Existiert hat diese „Liegehalle“ nämlich nie. Wird sie nachträglich noch gebaut (entsprechende Pläne gibt es), müssten weitere Kasernenräume weichen. Auch ein ehemaliger Klubraum wäre gefährdet. Die dort von einem Soldaten an die Wand gemalte Rügenkarte, gespickt mit regimekritischen Anspielungen, ist das letzte unmittelbare Zeugnis des Bausoldatenalltags.“
Bemühungen um das Bildungszentrum 2007 – 2021 (Auswahl)
2010 legte DenkMALProra eine Skizze der künftigen möglichen Ausgestaltung des von Bund und Land geplanten Bildungszentrums vor. (Vgl. Stefan Wolter, Asche aufs Haupt! Vom Kampf gegen das kollektive Verdrängen der DDR-Vergangenheit von Prora auf Rügen, 2012, S. 132 f.) Über die Bemühungen um die Berücksichtigung der „doppelten Geschichte“ von Prora unterrichtet dieWebsite www.denk-mal-prora.de Von diesem mehr als ein Jahrzehnt währenden Mühen der Initiative DenkMALProra schweigen Politik und Medien. Die künftige Regierung könnte das ändern.
Protest mit dem Spaten, Tagesspiegel 2007Wiederbegegnung mit der Geschichte – Prora-Trilogie: Deutschlandradio 2007/09
Petition „Stopp des Ausverkaufs der Geschichte“ MDR-Kultur, 2017
Presseerklärung des Landes MV zum Aufbau des Bildungszentrums Prora, 2021
Statement zum Aufbau des Bildungszentrums Prora, 2021 Leserbrief im „Rügenblitz“ , 2021