Hof 9 (Jugendherberge Haupteingang) | DenkMAL Prora Hof 9 (Jugendherberge Haupteingang) | DenkMAL Prora
Hof 9 im Frühjahr 2009 © DenkMALProra
Hof 9 im Frühjahr 2011 © DenkMALProra

Hof 9 (Jugendherberge Haupteingang)

Während der erste Leiter der 2011 eröffneten Jugendherberge Prora sein neues Reich auf Facebook als „Wunderort“ bzw. „schönste Blockigkeit am ostzonalen Meer“ bewarb, quälten sich die Zeitzeugen, sofern sie sich mit ihrer Geschichte nicht bereits in die Nischen der bundesrepublikanischen Gesellschaft verzogen hatten, um die Vermittlung der geschichtlichen Hintergründe der Räumlichkeiten ab. Diese waren zu jenem Zeitpunkt bereits restlos entkernt. Das „von selbst Fragen aufwerfende“ Gebäude, wie es zur Eröffnung der Jugendherberge hieß, rückte lediglich die einst abgebrochene KdF-Planungsphase ins Zentrum des Interesses. Eine deutschlandweite Medienkampagne transportierte dieses Halbwissen unter dem Slogan „aus braun bzw. aus grau mach bunt“ in den letzten Winkel der Gesellschaft.

„Unten wurden die Neuen sofort auf ihre Stuben verteilt“, berichtet der ehemalige Bausoldat Thomas Brösing über seine Einberufung im Jahr vor der politischen Wende (1988). Während ihm selbst die 6. Etage zugewiesen wurde,  verteilten sich die anderen „unter unaufhörlichem Geschrei und Gebrüll (…) auf zwei Einheiten im fünften und vierten Stock des Gebäudes. Diese Kompanien bestanden nur aus Neuankömmlingen zu je 120 junge Männer. Zugleich lernten die Ankömmlinge, wie sie die Sachen in den Spind zu packen hatten. „Geschah das nicht schnell genug, wurden die Sachen wieder aus dem Spind geworfen. Flog der Inhalt mehrerer Schränke auf den Boden, entwickelte sich die Situation zu einem unerträglichen Albtraum.“
Thomas Brösing: Der Bausoldat, 2008. S. 63ff.

Der turbulente Flur im 3. OG (= 4. Etage) des Gebäudes  ist jener, den bis zu seiner Entlassung der „Prinz von Prora“ behauste. Er erstreckte sich bis in den angrenzenden Hof-Bereich des künftigen Bildungszentrums:

„Das war mein künftiges Zuhause. Etwa dreizehn blaugraue Zimmertüren säumten die eine und wohl ein paar mehr Fenster die andere Seite des Flures. (…) Die Wände waren farblich zweigeteilt: Über hellgrauem Ölsockel an kalkweißer Wand hingen wenige hässliche Malereireproduktionen vom Genre sozialistischer Realismus. (…) Ich freute mich an jeder Geste, die den verordneten Konformismus störte. Eine zentrale Rolle spielte Sven (…) Ich fühlte mich geschmeichelt, wenn er mich immer wieder aus dem Zimmer holte, um sich mit mir im Flur zu unterhalten. Hier gelehnt an eines der Fensterbretter wusste er stets Erstaunliches zu erzählen“- mit Blick in den Wipfel der sich in relativer Freiheit wiegenden Kiefer, die bis heute im Eingangsbereich der Jugendherberge Prora erhalten geblieben ist. Die Soldaten wurden auf diesem Gang zum Abmarsch versammelt, belehrt und getriezt. Im drittletzten Zimmer vor Hof 8 ereignete sich das Vorkommnis der „Christenverfolgung“. 
Siehe unten und  Stefan Wolter, Der Prinz von Prora, 4. Aufl. 2015, S. 51f.

Unter dem 3. OG. befand sich der Stab mit den Dienstzimmern des Kommandeurs des PiBBMukran,  OSL (später Oberst) Aschendorff, und  etwa auch des Major Bleyl.

Im Winter 2009/10 wurde auch dieser Abschnitt bis auf die Rohbausubstanz entkernt. Ende 2010 nahm der künftige Haupteingang der Jugendherberge Prora Gestalt an. Das gesamte Erdgeschoss dieses Hofes war dem Med.Punkt überlassen, den man von Hof 8 aus betrat. Zur Seeseite hin waren die Behandlungs- und Krankenzimmer untergebracht, zur Hofseite lagen die Wirtschaftsräume und Wannenbäder. Die übrigen Etagen waren wie folgt belegt:

  • 1. OG Baupioniere und Reservisten, 
  • 2. OG Räume des Militärischen Stabs
  • 3.-5. OG Bausoldaten.

Bauliche Entwicklung des Hofes und des 3. OG 1985-2010

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Hof 9 im Frühjahr 2009  © DenkMALProra
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Hof 9 Frühjahr 2010  © DenkMALProra
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Hof 9 Frühjahr 2010  © DenkMALProra
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Blick auf den Eingangsbereich der heutigen Jugendherberge 1985  © Tobias Bemmann
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Eingangsbereich Jugendherberge 1995  © Sammlung Proraer Bausoldaten
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Eingangsbereich Jugendherberge Sommer 2009  © DenkMALProra
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Eingangsbereich Jugendherberge Sommer 2010  © DenkMALProra
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Blick auf den ehem. Apellplatz, Herbst 2010  © DenkMALProra
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Blick auf Hof 9, Frühjahr 2011  © DenkMALProra
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Eingang Jugendherberge Prora 2011  © Sammlung DenkMALProra
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Neue Freitreppe Jugendherberge Herbst 2010  © Sammlung DenkMALProra
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Ehem. Eintritt 2. Baukompanie, Gang Richtung Abschnitt mit Rügenkarte, Sommer 2009  © Sammlung DenkMALProra
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Ehem. Eintritt 2. Baukompanie Sommer 2010  © DenkMALProra
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Gang im Frühjahr 2011  © DenkMALProra
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Vorgesetztenzimmer seeseitig, mit Fenstervergitterung, Vorhängen und Tapete, 1995  © Sammlung DenkMALProra
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Hof 9 Gang 3. OG im Jahr 1995  © DenkMALProra
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Hof 9 Am Tisch 1986  © Stadtherr Wolter
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Zitat aus einem Brief (Der „Prinz von Prora“ 1986) im Militärhistorischen Museum Dresden 2012  © Stadtherr Wolter
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Antwort auf Hilferuf aus Prora wegen Unterdrückung des religiösen Gespräches 1986  © Stadtherr Wolter
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3. OG, Gang mit Blick vom Klubraum mit Rügenkarte her, Sommer 2009  © DenkMALProra
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3. OG Blick von Süd nach Nord, vom Klubraum mit Rügenkarte her, 2007  © DenkMALProra
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Flur mit Blick vom Abschnitt mit Rügenkarte her, Sommer 2009  © DenkMALProra
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Flur Frühjahr 2011  © DenkMALProra
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Zimmer im Umbau 2010  © DenkMALProra
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Zimmer der Jugendherberge, Frühjahr 2011  © DenkMALProra
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Jugendherberge 2020  © DenkMALProra
Zeitzeugen berichten aus der 2. Baukompanie 1986/88
Der Prinz und der Horizont
„Mit meinen Problemen verzog ich mich gern in selbst gesuchte Nischen. Zu meinem Lieblingsplatz in Prora wurde eine der beiden Fensterbänke unseres Zimmers. Mit dem Meer verbündete ich mich, aus seinem Anblick schöpfte ich Kraft, gemäß einem Spruch, wie ich ihn im Schwesternwohnheim Stralsund gelesen hatte: „Laß das Leid zur Welle werden, die uns zum ewigen Ufer trägt.“ Zwar mischten sich hier in die Ostseeluft die Gerüche nach Desinfektionsmitteln, die im Medizinischen Stützpunkt im Parterre zum Einsatz kamen, und nach Kaffee aus dem Militärischen Stab direkt unter uns.

Zwar wurden die Fenster zum Strand gleichzeitig als Papierkorb genutzt, was die Möwen in Scharen anlockte. Doch hoch über dem „Außenrevier“, das eben wegen der Gefahr des Mülls aus der Luft vom Revierdienst nur mit Stahlhelm gereinigt werden durfte, da fühlte ich mich frei. Hier liebte ich es, zu sitzen und dem Spiel der Möwen zuzuschauen, die es sich auf jener kleinen Müllkippe am Fuße des Gebäudes wohl ergehen ließen.

Nebenbei bemerkt, sah ich dort unter mir, zwischen Kaserne und Düne, später öfters einen ranghohen Offizier stehen, der in einem kleinen Backsteinkamin Dokumente verbrannte. Zu gern hätte ich gewusst, worum es sich bei diesen Papieren, welche Stück für Stück in Flammen aufgingen, gehandelt hat.

An meinem Fensterbrett, das jemand aus meinem Zimmer irgendwann sogar mit einer Schreibtischplatte versehen sollte, suchte ich, der unbedarft und relativ unvorbereitet in dieses Extremleben gestoßen worden war, zwischenmenschliche Erlebnisse zu verarbeiten. Von manch einem belächelt, schrieb, malte und dichtete ich hier. Ich versuchte, nur das Positive an mich herankommen und das Schöne auf mich wirken zu lassen. Diese scheinbare Fähigkeit beeindruckte die einen, die anderen aber neideten sie mir. Auch ich begann mich immer mehr zurückzuziehen, indem ich mir schöne Szenen aus der Heimat vorstellte, nach der ich mich zunehmend sehnte. Irgendwann hatte ich die Idee, private Bilder in die Sprungfedern des Bettes über mir zu stecken. Von den Vorgesetzten unbemerkt, ermöglichten mir diese eine eigene schöne kleine Aussicht von meinem Bett aus.
(Stefan Wolter, Der Prinz von Prora, 4. Aufl. 2015, S. 91)
Gedichte aus der Bausoldatenzeit 1986-1988 in Prora von Michael Wachler

archipel

kaserne
– ringsherum stacheldraht
und gewehre

einmal pro woche
ausgang durchs tor

insel
– ringsherum wasser
und waffen

ab und zu
heimfahrt über den damm:

​​​​​festland
– ringsherum stacheldraht
und gewehre

Mehr Gedichte im Virtuellen Museum Proraer Bausoldaten:

http://www.proraer-bausoldaten.de/Gedichte_aus_Prora.pdf 

Briefwechsel mit dem thüringischen Landesbischof Werner Leich

Prora, am 13.08.87
Werter Herr Landesbischof!
Seit einem Jahr bin ich in Prora als Bausoldat tätig. Sicherlich haben Sie schon einiges über die Situation in Prora bzw. auf der Baustelle in Mukran gehört. Der Grund meines Schreibens an Sie ist folgender: Am Sonntagabend, dem 09. 08. 87 kamen neun Bausoldaten, darunter ich, in einem Zimmer auf der 2. Kompanie zusammen, um über Gottes Wort zu reden. Ein Vorgesetzter kam unvermittelt herein, um sich, wie er sagte, einen Überblick über die zusammensitzenden Bausoldaten zu verschaffen. Von dem diensthabenden Bausoldaten sollten die Namen notiert werden. Inzwischen hatten schon einige von uns ein Gespräch mit dem Kompaniechef gesucht. Er legte diese Versammlung als „Durchführung kollektiver religiöser Handlungen“ aus und beschuldigte uns so, gegen einen vom Kommandeur erlassenen militärischen Befehl verstoßen zu haben. Mir persönlich sagte er, daß es eine deutliche Trennung zwischen Kirche und Staat in der DDR gibt. Es gab vor 2000 Jahren Märtyrer, und es wird wohl auch in 2000 Jahren dergleichen geben. Wenn wir uns als solche zu erkennen geben wollen, müssen wir auch die Konsequenzen tragen. Gestern mußten wir eine Stellungnahme zu dem Sachverhalt schreiben. Wir brachten darin nochmals zum Ausdruck, daß es sich hierbei um nichts weiter als ein Gespräch über die Bibel gehandelt habe [...] Diese Stellungnahmen wurden im Stab bearbeitet und die Bestrafungen folgten – trotzdem – auf dem Fuße. Außer einem Bausoldaten, der 4 Wochen Ausgangs- und Kurzurlaubssperre bekam, erhielten wir anderen alle 2 Wochen Ausgangs- und Urlaubssperre. Wir fühlen uns zu unrecht bestraft. Haben wir Christen in der Baueinheit nicht das Recht, über der Bibel zusammen zu kommen? Wir haben hier auch nicht die Möglichkeit, regelmäßig an einem Gottesdienst im Ausgang teilzuhaben. Auch wenn uns dies ermöglicht würde, haben wir doch täglich das Bedürfnis, uns über Gottes Wort zusammen zu finden. Vielleicht können Sie auf höherer Ebene versuchen, eine Lösung für unszu finden, wie wir unseren Bedürfnissen als Christen hier in der Armee nachgehen können. Es wäre schön, wenn wir offiziell zu einer Andacht zusammen kommen könnten und nicht deswegen verfolgt würden.
Vielen Dank für Ihre Bemühungen, Ihr Stefan Wolter.

*

31. August 1987

Lieber Bruder Wolter!
Ihr Brief vom 13. August 1987 ist bei mir eingegangen und mir nach Rückkehr aus meinem Urlaub vorgelegt worden. Darin liegt der Grund einer verzögerten Antwort. Sie sind nicht der Einzige, der mir im Zusammenhang mit dem Vorfall am 9. August 1987 in Prora geschrieben hat. Ihr Brief ist aber der deutlichste. Sie weisen auf einen Ausspruch des Vorgesetzten hin, indem er die Märtyrersituation der Christen auf eine mögliche Situation unter den Bausoldaten überträgt. Ich habe bereits in der Sitzung des Vorstandes der Konferenz der Kirchenleitungen am 26. August 1987 die Angelegenheit angesprochen und Justitiar Kupas gebeten, im Staatssekretariat für Kirchenfragen vorstellig zu werden. Der Vorstand steht unter dem Eindruck, daß die  schwierige Situation in Prora sich nicht entspannt, sondern vielmehr weiter verschärft. Ich werde auch an Herrn Bischof Gienke schreiben. Er hat es als der für den Bereich zuständige Bischof übernommen, für die Bausoldaten in Prora in Konfliktfällen einzutreten.
Mit herzlichen Grüßen, auch an Ihre Kameraden, und „Gott befohlen!“
Ihr Dr. Werner Leich.

Zeitzeuge Uwe Glänzel, 2. Bkp. 1986-1988
Durch meine christliche Erziehung war ich schon in meiner Jugend gegen Waffengewalt.
Weil ich für eine vollkommene Ablehnung des Wehrdienstes mit allen seinen Konsequenzen nicht genug Mumm hatte, entschloss ich mich, wenigstens den Dienst an der Waffe zu verweigern.
Da ich sportlich aktiv war, fiel mir die 2-wöchige Grundausbildung nicht schwer. Mehr Probleme bereitete mir das befohlene "Gelöbnis". Schon kurz davor bemerkten wir die Nervosität der Vorgesetzten. Das Ereignis spielte sich in der Turnhalle und nicht in der Öffentlichkeit ab, um jeden erwarteten Eklat nicht nach außen dringen zu lassen.​
Der Witz an dieser ernsten Sache war, dass in der ersten Reihe schon vereidigte Unteroffiziere standen, die das Bausoldaten-Gelöbnis mit sprachen. Von den Bausoldaten ertönte nur ein leises Gemurmel, wovon nur weniges dem Original-Text entsprach.​
Ich und meine Nebenmänner z.B. sagten leise das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis auf.
Nach der Grundausbildung gab es schon unerwartet Kurzurlaub, natürlich nicht sozial ausgewogen. Ich durfte nach Hause, obwohl ich nur 1 Kind hatte, ein Zimmerkamerad ("Paps") mit 3 Kindern dagegen nicht. Sogar Singles ließ man fahren - Ungerechtigkeit mit System!​
Nun einige Episoden von der Baustelle Mukran.​
Durch die Einberufung im Herbst bekamen wir sofort die schweren Bedingungen zu spüren, die ein Winter an der Küste mit sich bringt. Sturm und Kälte, Schachtarbeiten in gefrorenem Boden und die Antreiberei des zivilen Baustellenbeauftragten - Spitzname "Leuchtboje" (wegen seines orangefarbenen Helms) - da konnte einem schon die Lust zum Arbeiten vergehen.
Ganz hart wurde es, als zum Jahresende ein Schneesturm Rügen komplett lahmlegte. Wir Bausoldaten mussten mit ran, um den eingeschneiten Rangierbahnhof der Fähren freizumachen. 
Die Offiziere hatten sich sogar dazu durchgerungen, auf die übliche Kleiderordnung zu verzichten. Wir durften so viel anziehen, wie wir es für erforderlich hielten. Nachdem die Schnee-Katastrophe gebannt war, kam ganz schnell wieder der alte Befehlston zum Vorschein.
Im Sommer hatte ich das große Glück, einer Dachdecker-Firma zugeteilt zu werden. Ich bekam einen Blaumann, damit ich unsere "schöne" Uniform nicht mit Teer beschmutze und fühlte mich fast wie ein Zivilist. Außerdem bekam ich von den Dachdeckern Anerkennung für meine geleistete Arbeit und kollegiale Behandlung.​
Im letzten Winter musste ich wieder mit Hacke und Schaufel los. Als wir auf der verschneiten Baustelle Betondeckel auf Kabelgräben legen mussten, übersah ich einen zugeschneiten Graben.
Der Deckel in meinen Händen fiel mir bei meinem Sturz auf den kleinen Finger der linken Hand.
Trotz Handschuh hatte ich eine tiefe Fleischwunde, die Hälfte der Fingerkuppe hing nach unten.
Im Krankenhaus in Bergen war eine sehr "fürsorgliche" Ärztin, die der Meinung war, Bausoldaten sind harte Burschen. Mit den Worten "Eine Betäubungsspritze macht den Finger nur unnötig dick" nähte sie mir die Kuppe ohne Betäubung wieder an. Die Narbe erinnert mich bis heute an meine Zeit als Bausoldat.​
Nun zu meinen Kameraden. Das erste Jahr war ich in einem Zimmer mit netten Leuten: Paps, Kantus, BB (Bausoldat Baumann), Daniel Bilz und unser Künstler ...Döring.​
Wir halfen uns gegenseitig, spielten Karten und kochten sogar heimlich in unserem Zimmer mit einer illegalen Kochplatte.​
Für mich selbst hatte ich eine Lücke im System entdeckt. Die Turnhalle wurde kaum von den Offizieren besucht, und so begann ich mit Kraftsport, der meine Freizeit sinnvoll ausfüllte und mich die Strapazen der Baustelle leichter ertragen ließ.​
Auch die Wochenenden in der Kaserne waren für mich größtenteils erträglich, von der Sehnsucht nach meiner Familie mal abgesehen.​
Wir hielten illegale Gottesdienste ab, spielten Karten oder Schach.​
Im letzten Halbjahr vor der Entlassung wurde die Zimmeraufteilung auf Befehl komplett durcheinander gewürfelt. Diesmal hatte ich Pech und kam in ein Zimmer mit überwiegend Rauchern. Wenn die dann noch rücksichtslos sind, sorgt das auf so engem Raum schon für Stress.
Zum Glück rückte die Entlassung immer näher.​
Was mir in diesem Zusammenhang nicht aus dem Kopf geht, ist der Selbstmord eines Bausoldaten aus einer anderen Kompanie unmittelbar vor seiner Entlassung im Herbst 1987. Er hatte kurz vorher erfahren, dass seine Frau einen anderen liebt und er nicht nach Hause kommen braucht... In seiner Verzweiflung stürzte er sich aus dem oberen Stockwerk in die Tiefe.​
Den Tag meiner eigenen Entlassung werde ich auch nie vergessen. Auf dem NVA-LKW, der uns zum Bahnhof brachte, sangen wir "Nun danket alle Gott", was uns normalerweise auf der Fahrt zur Baustelle in den Arrest gebracht hätte. Insgesamt muss ich sagen, dass der Staat durch Prora in mir ein Gemeinschaftsgefühl verstärkt hat, das mir am 09. Oktober '89 den Mut gab, nach Leipzig zu fahren und bei der ersten großen Demo gegen unsere Unterdrücker dabei zu sein. Dort hatte ich das erste Mal ein Gefühl von Macht nach 18 Monaten der Ohnmacht und des Eingesperrt-Seins.“

Weiterer Zeitzeugenerinnerungen von dieser Etage im Virtuellen Museum Proraer Bausoldaten

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