Hof 11 (Jugendherberge)
„Entlang einer Betonstraße liegen zur Rechten eine große Wiese und ein mit Asche und Schlacke bestreuter Sportplatz. Zur Linken erhebt sich ein sechs Etagen umfassendes Gebäude von einer nicht abzusehenden Länge. Gleichhohe Anbauten an der Hofseite dieses riesigen Bauwerkes teilen den Abstand zur Straße in nahezu quadratische Lichthöfe, deren spärliche Bepflanzung eher dazu angetan ist, den tristen Eindruck der unverputzten und mit uralten Doppelfenstern versehenen Hoffront zu verstärken“, schildert der ehemalige Bausoldat Uwe Rühle das nördliche Gelände von Block V im Jahr seiner Einberufung 1982.
In den 1980er Jahren waren in diesem letzten bewohnbar gemachten Lichthof untergebracht:
- EG: Kleider- und Materialkammern,
- 1. OG: Baupioniere, zum Teil auch Matrosen,
- 2. OG: die Schneiderei, die Bibliothek, das Traditionszimmer für das Pionierbaubataillon sowie Räume, die u.a. für Verhöre von der benachbarten „Verwaltung 2000“, eine Sondereinheit des MfS innerhalb der NVA, genutzt wurden,
- 3. OG: Baupioniere,
- 4.-5. OG: Bausoldaten.
Das 2. OG in seiner Entwicklung 1990-2011
Das Gebäude wurde im Vorfeld des Jugendevents „Prora03“ von Türen und Fenstern entkernt. 2009 folgten weitere Entkernungsarbeiten zugunsten der KdF-Rohbau-Substanz. Auch der einstige „Trockenturm“ zwecks Lagerung der Fallschirme ist abgerissen. 2010 nahm die Jugendherberge Gestalt an. Jedoch hat DenkMALProra in den letzten Räumen des 2. OG. Spuren dokumentieren können, die trotz anders lautendem Denkmalgutachten des Landes MV zum überwiegenden Teil beseitigt wurden. Angrenzend im Hof 10 lag der Flur der einstigen Stasi-Einheit „Verwaltung 2000“ - noch zwanzig Jahre nach Vollzug der deutschen Einheit mit heller Holztapete ausgestattet. In Hof 11 befand sich in gleicher Höhe ein Gang mit Bibliothek und dem Traditionszimmer - noch 2009 eine dunklere Holztapete und die roten Steinfließen aufweisend. Räume dieses Ganges wurden auch zu Verhören von Bausoldaten durch die Staatssicherheit genutzt – etwa die Bibliothek. Von ihr kündeten die drei nördlichsten Zimmer mit ummauerten Türbögen. Ganz am Ende lag das Traditionskabinett. Die Vitrinen zur Ausstellung des großen Hafenmodells stellte ein Bausoldat im väterlichen Betrieb her. Angeblich gab der letzte Verteidigungsminister der DDR, Rainer Eppelmann, den Befehl, den Bestand des Zimmers zu sichern und zu archivieren. Das Kabinett wäre ein interessantes Anschauungsstück des bis heute kaum thematisierten Hafenbaus. Die Akten des Geheimdienstes sind hingegen mehrheitlich vernichtet.
Geringe Merkmale im Bereich der Bibliothek / des angrenzenden Traditionszimmers erinnern Dank DenkMALProra auch künftig an die einstige Nutzung des Blocks als NVA-Kaserne. Leider wurden die Räume zu Gästezimmern und nicht zu Gemeinschaftsräumen für Projektarbeiten hergerichtet. Solch kleine Erkennungszeichen (Narben) im historischen Gemäuer hätte sich die Initiative an vielen Stellen im Gebäude gewünscht.
Im Gutachten des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege (2009) heißt es:
„Die in Resten vorhandene Ausstattung besteht aus Holzimitationstapeten im Flur und aufwändigeren Tapeten, z.B. Ziegelimitation in den Räumen. In einem Raum befinden sich die Umrisse einer DDR-Karte. Die drei nördlichsten Räume sind durch Türen mit gemauerten Rundbögen verbunden, die einen biederen fehlplatzierten Eindruck vermitteln. Am Ende des Ganges führt eine von innen mit einer Holzimitationstapete verkleidete Tür in einen großen Raum. Die in den Wänden befindlichen Bohrlöcher lassen auf eine technische Ausstattung schließen (…) Es ist im Rahmen des Nutzungskonzeptes zu überprüfen, ob im nördlichsten Bereich die Türdurchgänge und Tapetenreste erhalten werden können.“
Die Bausoldatenetage im 5. OG zwischen Hof 9 und 11 zwischen 1987 und 2011
Ein Zeitzeuge berichtet über den Einzug in die Kaserne
„Die Mehrzahl jedoch hatte ihre Sachen erhalten und stieg in kleinen Grüppchen die Treppe hinauf zu den Unterkünften. Es stellte sich heraus, dass die fünfte, also die oberste Etage auserkoren war, die Bausoldaten zu beherbergen. Ein schmaler Gang von 2,5 m Breite und gut 150 m Länge zeigte auf der Hofseite die baufälligen Fenster von innen, und gegenüber waren gut dreißig grüne Türen angeordnet, hinter welchen sich die Stuben befanden. Bald hatte jeder seine Stube gefunden, deren spartanische Möblierung an der Kälte und Geschmacklosigkeit der immerhin aber frischen Farbgebung nichts zu ändern vermochte. Drei eiserne Doppelstockbetten, sechs hölzerne, farblos lackierte zweitürige Spinde, sechs Hocker mit Holzplatten und Stahlrohrfüßen und ein Tisch waren dennoch schon fast zu viel für einen ca. 16 m² großen Raum. An den Betten und Schränken klebten bereits kleine Schilder mit den Namen der zukünftigen Mieter, sodass jeder sofort begann, die mitgebrachten und erhaltenen Dinge zu verstauen. Ein paar Unteroffiziere, solche also, die sich dem Dienst für drei Jahre gewidmet hatten, schwirrten umher und gaben mehr oder minder einleuchtende Erklärungen über die vorgeschriebenen Rituale des Bettenbaus und der Schrankordnung ab. Ersteres wurde durch ein eindrucksvolles Beispiel auf dem Gang des Kompaniebereiches ergänzt, wodurch ein jeder ohne nennenswerte Probleme Herr seines neuerworbenen Mobiliars werden konnte.“
„Ein weiteres Übel in unserem Kompaniebereich ist die absolut ungenügende Ausstattung der Klubräume. Es gibt für hundertsechzig Mann zwei Klubräume von je 20 m² Größe, in denen jeweils ein Fernseher und einige Stühle vorhanden sind. Erstens sind diese nun von der Größe her nicht ausreichend und zum zweiten fehlt es an in der Dienstvorschrift der NVA angeführten Einrichtungsgegenständen, wie einer Anbauwand, Plattenspieler, Schallplatten, Gesellschaftsspielen usw. Können diese Dinge beschafft werden und wird es möglich sein, andere, größere Klubräume zu nutzen?“ „Zu dieser Frage muss ich Ihnen sagen“, entgegnete der Offizier, „dass Ihr Kompaniebereich unter erschwerten Bedingungen und in sehr kurzer Zeit eingerichtet werden musste. Nur wenige Wochen vor Ihrer Einberufung wurde dieser Standort benannt und in aller Eile dafür vorbereitet. Es musste dabei vieles improvisiert werden und oftmals mangelte es am Notwendigsten.“ „Wenn es um unsere Pflichten geht“, parierte der Bausoldat, „hat man doch aber auch stets die Dienstvorschriften zur Hand, und wir müssen sie pünktlich und gewissenhaft befolgen. Es ist doch auch gelungen, uns Bausoldaten mit Gasmasken, Schutzanzügen und anderen Ausrüstungsgegenständen zu versorgen. Es liegt also der Verdacht nahe, dass Beschaffungsprobleme, die unserer Erholung dienen, nicht mit dem gleichen Elan angegangen werden!“ „Lieber junger Freund, glauben Sie mir, wenn ich eine Anbauwand hätte und einen Plattenspieler – nichts täte ich lieber, als es Ihnen zur Verfügung zu stellen. Im Moment ist eben einfach nichts da und zaubern kann auch ein Oberstleutnant nicht. Es wird sich jedoch in absehbarer Zeit etwas tun, und ich beauftrage hiermit auch gleichzeitig den Bataillonskommandeur mit der Lösung!“ Diesmal hatte er den ‚schwarzen Peter‘ weitergegeben.“
Zeitzeugen berichten aus der auch zu Verhören genutzten Bibliothek im 2. OG. Hof 11
Ehem. Bausoldat Tobias Bemmann, 1985/87:
„Genosse Bausoldat, kommen sie mit, jetzt wird es ernst. Er begleitete mich im Treppenhaus drei Etagen nach unten. Dort befand sich eine unauffällige Tür, an der ich schon so oft vorbei gelaufen war. Nie hatte ich mir bis dahin Gedanken gemacht, was wohl dahinter sein könnte. Vor dieser Tür warteten wir nun. Beim Spieß bemerkte ich eine gewisse Angespanntheit und Nervosität. Nach einiger Zeit wurde die Tür von innen aufgeschlossen. Der Spieß machte bei dem dort erscheinenden Offizier irgendeine Meldung und verschwand wieder. Ich wurde in einen Raum geführt, in dem einige unbekannte Offiziere saßen. Ich musste mich mit an ihren Tisch setzen. An einem weiteren Tisch saß jemand, der auf einer Schreibmaschine alles mitschrieb. Die Atmosphäre in dem Raum war zunächst ganz anders, als ich es erwartet hatte. Kein lautes Schreien, kein Schimpfen … Ein fast verständnisvoll wirkender Mann stellte mir nun Fragen. Schnell wurde mir klar, mit wem ich es hier zu tun hatte und was die besonders interessierte. Das Übertreten des Ausgangsbereiches schien für diese Stasileute eher eine Nebensache zu sein. Sie interessierten sich nur für den Gottesdienstbesuch in Stralsund. Sie warfen mir vor, dass ich mich dort mit Personen aus der BRD getroffen hätte …“
Ehem. Hauptfeldwebel Schulze, 2007:
„Akustisch wurde die Vernichtung von Akten des militärischen Geheimdienstes ab Februar 1989 (!) in der Schneiderei des Truppenteils durch die dortigen Mitarbeiter vernommen. Eine Mitarbeiterin äußerte sich dazu. ‚Die Maschinen liefen Tag und Nacht, aber wir wussten nicht was da vorging.‘ Die Räume des militärischen Geheimdienstes lagen ungünstigerweise nebenan.“