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TH 6-5 (Aurum-Aqua)

Die meisten Spuren der Militärtechnischen Schule ließen sich bis in die Jahre 2013/14 im 1. Geschoss der heutigen Häuser Natura und Aurum finden – und zwar von der Fachrichtung X - Grundlagenausbildung (heutige Häuser Natura-Aurum) sowie der Fachrichtung VI - Chemische Dienste (heutige Häuser Aurum und Aqua). Zwischen den heutigen Häusern Aurum und Düne zog sich im Ergeschoss über fast vier Jahrzehnte hinweg eine der Standortküchen hin, im Anschluss (Bereich Düne) die Essenausgabe für die Offiziere. 

Bauliche Entwicklung der Häuser Aurum, Aqua und Düne

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Kasernenabschnitt Häuser Aurum und Aqua 2011.  © Sammlung DenkMALProra
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Grafik aus Grundlagenausbildung, Haus Aurum.  © Matthias Reis
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Abschnitt Aqua, Relikt Fachbereich Chemische Dienste, 2008.  © Matthias Reis
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Detail Haus Aurum Oktober 2012.  © Sammlung DenkMALProra
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Bäckerei Horn Oktober 2012.  © Sammlung DenkMALProra
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Bäckerei Horn 2014.  © Sammlung DenkMALProra
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Haus Aurum 2014, Einzug.  © Sammlung DenkMALProra
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Eingang Haus Aurum 2014.  © Sammlung DenkMALProra
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Treppenaufgang mit neuem Geländer, 2014.  © Sammlung DenkMALProra
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Treppenaufgang Kaserne, NVA-Ruine, 2013.  © Sammlung DenkMALProra
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Blick in Richtung ehemaliger Sanitärtrakt, 2014.  © Sammlung DenkMALProra
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Kasernenabschnitt Haus Düne, 2011.  © Sammlung DenkMALProra
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Ehemalige Küchen in Prora.  © MTS Erich Habersaath
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Ehemalige Küche.  © MTS Erich Habersaath
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Umbau Haus Aqua 2011.  © Sammlung DenkMALProra
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Umbau Haus Aqua 2013.  © Sammlung DenkMALProra
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Umbau Haus Aqua 2013.  © Sammlung DenkMALProra
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Umbau Haus Aqua 2015.  © Sammlung DenkMALProra
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Blick in die Essensausgabe 2013, heute Haus Düne.  © Sammlung DenkMALProra
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Ehemalige Essensausgabe 2013.  © Sammlung DenkMALProra
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Ehemalige Essensausgabe 2013.  © Sammlung DenkMALProra
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Kasernenabschnitt im Umbau 2013.  © Sammlung DenkMALProra
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Häuser Aqua-Düne 2015.  © Sammlung DenkMALProra
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Haus Düne 2018.  © Sammlung DenkMALProra

Grundlagenausbildung:

Die innerhalb von zwanzig Jahren mehrfach umstrukturierte Fachrichtung war für die gesamte mathematisch-naturwissenschaftliche Grundlagenausbildung für die Berufsunteroffizierslehrgänge aller Fachrichtungen und später auch für das Fähnrichstudium und die Fähnrichlehrgänge verantwortlich. Sie gliederte sich in drei Fachgruppen:

  • Fachgruppe mathematisch-naturwissenschaftliche und Sprachausbildung mit den Ausbildungsfächern: Mathematik, Physik, Chemie, Statik, Informatik und Russisch
  • Fachgruppe technische Grundlagenausbildung mit den Ausbildungsfächern: Grundlagen des Konstruierens, Technische Mechanik, Maschinenelemente, Thermodynamik, Elektrotechnik, Prüf- und Messtechnik
  • Fachgruppe werkstattorientierte technische Grundlagenausbildung mit den Ausbildungsfächern: Werkstofftechnik, Hydraulik-Pneumatik und Fertigungstechnik

Die sogenannte Lehrbasis bestand aus vier Lehrklassen, 13 Kabinetten und sechs Laboren. So gewährte sie eine solide theoretische und praxisorientierte Ausbildung.

Hier und da lassen sich im Internet Zeitzeugenberichte aus der Militärtechnischen Schule finden, von denen hier zwei in gekürzter Fassung zitiert werden. Beide Berichte beziehen sich auf Block III, der ebenfalls zur Militärtechnischen Schule gehörte. Gespeist wurde im heutigen Abschnitt Avella-Alando (Block II), wohin das Marschieren geübt werden konnte. Der Bericht von Axel Hungsberg (eingezogen nach Prora 1974) behandelt den Start eines Jugendlichen, der sich in der Schule zu einem zehnjährigen Dienst in den Reihen der NVA überreden ließ und dieses später bereute. Die Briefauszüge darunter stammen von einem Jugendlichen, der seine 6-monatige Ausbildungszeit seines dreijährigen Dienstes als Unteroffizier auf Zeit absolvierte, um einen Studienplatz zu erhalten. 

Ein weiterer ehemaliger Militärschüler schrieb DenkMALProra im Jahr 2009: „Prora, dieser Koloss aus Beton, parallel zum Strand, traumatisierte mich unbeschreiblich. Nie vorher hatte ich etwas Ähnliches gesehen. Ich kannte immerhin Berlin. Wie muss es erst Mitgefangenen vom Lande ergangen sein ... Welche Macht muss ‚die Partei‘ doch haben, so fühlte ich...“ Mit „Partei“ war die SED gemeint. Eindeutig wurde der umgestaltete und umgewidmete Koloss‘ als bauliches Ergebnis der sog. Arbeiter-und Bauernmacht“ der DDR wahrgenommen und empfunden. Sollte dies bei dessen heutiger Bewertung nicht respektiert werden? 

Zeitzeugenbericht

„(...) Wie das sicherlich vielen so geht, steht man mit rund 18 Jahren in seiner nachpubertären Phase in Opposition zum Elternhaus. Dann ist da ein guter „Onkel“ im Wehrkreiskommando (WKK), der einem eine Alternative anbietet von zu Hause fort zu kommen. (...)Die Entscheidung war klar. Verpflichtung für 10 Jahre! (...) Prora (den Begriff kannte ich damals noch nicht, den Ort gab’s auch auf keiner Karte) Fassungslos marschierte ich auf die große Festhalle zu, dabei konnte ich die ganzen Ausmaße dieses Betonkolosses noch gar nicht überblicken. (...) Als alle für die 6. Kompanie vollzählig waren hieß es wieder Sachen aufnehmen und Abmarsch. Entlang dieses monströsen, einen erschlagenden Bauwerkes. Dabei war das nur der heutige Block 3, wie alle anderen Blöcke auch ca. 500m lang. Dass es da noch mehr gab wusste ich noch nicht. (...) Es hatte ein völlig neues Leben begonnen, das war mir nach den ersten beiden Tagen klar geworden. Was ich bald aufklären konnte, war der Umstand, dem ich Prora zu verdanken hatte. Ich sollte ja Funkmechaniker werden, und da war nun mal die Technische Unteroffiziersschule der Landstreitkräfte meine Ausbildungsstätte (...) Doch noch bevor ich mich damit abfinden konnte, kam schon die nächste Überraschung: nicht ein halbes, nein, ein Jahr U-Schule stand mir bevor! Wir sollten ja Spezialisten werden und erhielten nach Ende der Ausbildung ein Facharbeiterzeugnis. Das geht natürlich nicht in einem halben Jahr - erzähl mir wieder keiner, das haben die im WKK nicht gewusst. (...) Das neue Leben nahm seinen Lauf. Die ersten sechs Wochen waren die militärische Grundausbildung. Das war die Zeit, in der man „Menschen“ und „richtige Männer“ aus Jugendlichen machen wollte. So nach vier Wochen war die Vereidigung, da waren meine Eltern zu Besuch und ich bekam den Nachmittag Ausgang. Man gewöhnt sich schnell wieder an die Freiheit – nur gut, dass der Ausgang nicht zu lange gedauert hat.

Nach den sechs Wochen sollten wir wissen was ein Soldat so wissen muss und können was er können muss. Die Zeit ist irgendwie rum gegangen, nach zwei drei Tagen hatte man sich mit dem neuen Leben abgefunden, es gab ja auch kein anderes. 6 Uhr wecken, Frühsport, Morgentoilette, Frühstück, Ausbildung, Mittagessen, Ausbildung, Abendessen, Revierreinigen, 22 Uhr Nachtruhe. So ähnlich lief das das ganze Jahr, nur nicht mehr so verschärft wie in den ersten sechs Wochen. Das, was uns vielleicht noch zusätzlich motiviert hat, war, dass es nach der Grundausbildung den ersten Urlaub gab, VKU (verlängerter Kurzurlaub) von Freitagmittag glaube ich bis Montagabend oder Dienstagfrüh. Bis dahin gab es auch keinen Ausgang.

Der erste Urlaub also. Mittlerweile war man ja schon etwas schlauer als vor den sechs Wochen. Man wusste z.B. dass man auf der Heimfahrt von Soldaten angepöbelt werden konnte. Berufssoldaten waren ja meist nicht die besten Freunde der Soldaten, aber eben Vorgesetzte, an den Schülern konnte man sich da noch sein Mütchen kühlen. (...) Erstmal bedeutete ein verpasster Zug in Prora fast einen verpassten Urlaub, zumindest bei der Strecke die ich vor mir hatte. Es war Mitte Juni, die Ostseeurlauber hielten sich noch in Grenzen, es waren ja noch keine Ferien, trotzdem war der Zug voll. Zumindest bis in den Raum Halle Armee über Armee.

(...) Nach dem Urlaub änderte sich der Tagesablauf in Prora. Es begann die Spezialausbildung und die fand meistens im Klassenzimmer statt. Wir waren auch noch in den „Wunschbergen“ (Gelände für Taktikausbildung, so genannt, weil man sich wünschte so schnell wie möglich wieder weg zu kommen), aber die meiste Zeit war Unterricht. Nachrichtentechnik, Gerätetechnik, Elektronik, Mathe, um die wichtigsten zu nennen. Natürlich noch Fachrussisch, GWA Gesellschaftswissenschaftliche Ausbildung) und zusätzlich zu der, zugegeben im Vergleich zur Grundausbildung wenigen, militärischen Ausbildung noch Sport.

Ich wurde, wie eingangs erwähnt, der 6. Kompanie zugeordnet. Der 2. und 3. Zug hatten schon ein halbes Jahr hinter sich, wir Neuen als zukünftige UKW-Funkmechaniker bildeten den 1. Zug. Ich glaube, die 4.,5. und 6. Kompanie gehörten zur Fachrichtung IV, Nachrichtentechnik. Welches Treppenhaus des heutigen Block 3 das unsrige war, kann ich nicht mehr sagen, auf jeden Fall waren wir als 1. Zug in der 2. Etage untergebracht, direkt über der Fachrichtung (die erste Etage wo die Gebäude schmaler werden).

(...) Es gab für die Fortbewegung auf der Objektstraße im Dienst nur 2 Bewegungsarten: Laufschritt oder marschieren mit Gesang. Dazu musste man aber erst mal auf die Straße kommen, und davor lag das Treppenhaus. Es gab für den Alarmfall Zeiten, wann wer unten zu stehen hatte, das musste natürlich geübt werden. Anfangs (in der Grundausbildung und danach noch, wenn es nicht klappte) war es ein beliebtes Spielchen, das zu den Essenszeiten zu trainieren. Oben auf dem Kompanieflur wurde angetreten, dann hieß es runterrücken und unten vor dem Block wieder antreten. Wenn dabei mal die Zeit überprüft und nicht eingehalten wurde, ging’s halt noch mal hoch und wieder runter. Man kann sich vorstellen, dass wir die erste Zeit das Vergnügen öfter hatten. Diese Zeit fehlte dann natürlich beim Essen. Vor  Ausbildungsstunden hat man sich das verkniffen, denn die mussten ja pünktlich anfangen. Mit der Variante vor dem Essen hatte man aber ein gutes Druckmittel. Die Essenszeiten standen fest, bei ein paar Tausend Leuten gab es ja mehrere Essenraten, und die Zeit die wir evtl. später im Speisesaal ankamen konnte nicht einfach hinten dran gehangen werden. Da standen dann schon die Nächsten. In solchen Fällen war auf der Straße dann auch Laufschritt angesagt, jede Sekunde war kostbar. Nach dem Essen hatten wir Schonzeit, da waren körperlich anstrengende Tätigkeiten untersagt, daran hat man sich auch gehalten. Ansonsten wurde marschiert, und zwar mit Marschgesang. (...) Neben den üblichen Liedern (Spaniens Himmel z.B.) wurde ein Lied bevorzugt angestimmt: GISELA. Das war die, deren Kleiderfarbe sich nach der Waffenfarbe ihres Liebsten richtete. Am variierenden Text konnte man aber auch erfahren, wann die Sänger das nächste Mal nach Hause fahren:

Gelb ist meine Waffenfarbe
die so stolz ich trag
gelb ist auch ein Kleid von dir
das so gern ich mag
…Gise-, Gise-, Gisela
in 5 Tagen bin ich da. (das fett Gedruckte variierte)

Dieses Lied hatte den Charakter eines heimlichen Protestsongs. Es war nichts politisches, es war nichts kämpferisches, und es sollte sagen: hört her, ihr könnt uns mal, in soundsoviel Tagen geht’s wieder nach Hause! Es ist wohl anzunehmen, dass die TUS – Technische Unteroffiziers Schule wegen dieser Singerei, dem Exerzieren und der Körperertüchtigung auch Tanz Und Sportschule genannt wurde. Aber nun weiter. Das erste Diensthalbjahr näherte sich seinem Ende. Der Ausbildungsplan hielt zur Krönung der ganzen Schinderei für alle noch den so genannten Härtetest bereit: 1000m Lauf in Uniform und Stiefeln, 15km Eilmarsch, davon 6km unter Schutzmaske, Überwindung der Sturmbahn (...) Da war echte Kameradschaft gefragt, es mussten alle irgendwie ans Ziel kommen (medizinische Notfälle ausgenommen).

Wir waren froh als es vorbei war, aber auch stolz, es geschafft zu haben. Nun, wir „durften“ ja noch einmal, ein Diensthalbjahr lag ja noch vor uns. Als es dann Ende Oktober wurde war mir doch etwas komisch zumute. Die beiden anderen Züge unserer Kompanie hatten ihr Jahr rum und die mit uns eingezogenen, die nur ein halbes Jahr Ausbildung hatten, wurden auch zu Unteroffizieren ernannt und durften Prora verlassen.“

Zit. nach http://axel-hungsberg.de/TUS/meinedienstzeit.htm 

Zeitzeugenbericht

Prora, 9.2.89

Hallo, lieber Sebastian!

Vielen Dank für Deinen Brief für Deinen netten Brief, der heute kam. (Schon im ersten Satz Konzentrationsschwierigkeiten!) War ja spannend zu lesen, von den Ereignissen auf dem Weg nach Weimar zu Deinem „Ausgang“. In der letzten Woche habe ich nun erfahren, wo ich hinversetzt werde. Dazu wurden wir alle in den Fernsehraum kommandiert, wo jeder eine Buchstabenkolonne genannt bekam, die die spätere Einheit benannte, aber der Hauptfeldwebel wußte nur bei 70-80% den späteren Standort. Die anderen tappen nach wie vor im Dunkel. Ich habe jedoch phantastisches Glück gehabt! Ab 18.2. werde ich in Dresden stationiert sein in einem materiellen Sicherstellungsbatallion.

Du kannst Dir vorstellen wie sehr ich mich darüber gefreut habe. Es war kaum vorstellbar, da nur wenige, 20% vielleicht, nach Hause versetzt werden. Einer aus Dresden, der in meinem Zimmer ist, wurde nach Zingst versetzt. Da hat wohl der Hauptfeld und KC daran gedreht, weil er immer offen und kritisch zu allen Sachen seine Meinung gesagt [hat]. Er war unbequem und so haben sich die Jungs revanchiert. Äußerlich wenigstens trägt er es gelassen, aber wer weiß schon wie es in einem [einem: durchgestrichen] ihm innendrin aussieht.

Am Montag war Tiefenkontrolle in der Kompanie. Es war wie eine Hausdurchsuchung in einem schlechten Krimi. Die ganze Sache kam völlig überraschend. Der ganze Schrank wurde ausgeräumt, alle Fächer entleert und alle Sachen aufgemacht, reingeschaut, durchgewühlt und durchgesehen. Hätten sie mir Alk oder einen Tauchsieder / Ufo abgenommen, hätte ich es noch akzeptieren können, aber so haben sie sich an meinen Gedanken und Auffassungen vergriffen und mehr oder weniger beleidigt.

Der Hauptfeldwebel, der die Kontrolle machte, fetzte 2 Sprüche von meiner Schranktür ab, einen von Jewtuschenko über den Umgang mit der Geschichte, wo er sagt: um mit der Gegenwart zurecht zu kommen, muß man die Fehler der Geschichte schonungslos aufdecken. Der andere Spruch war der über die „Gelassenheit die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann...“ Zum weiteren haben sie eine Sputnik-Kopie 10/88 und Abzüge meiner Neujahrskarte „Wir haben nichts zu verlieren als unsere Ketten“ hochgezogen. Bezeichnend, was da eingezogen wurde! Ich hatte eine unheimliche Wut im Magen. Diese Willkür hat mich wahnsinnig belastet und „angekotzt.“ Ich habe ganz schön gebraucht, um mein Gleichgewicht wiederzufinden.

Ich hatte das Gefühl, daß die Jungs mir einen „Strick“ drehen würden. Dieses Gefühl sollte nicht getäuscht werden!

Gestern früh wurde ich zum Fachrichtungsleiter bestellt, mein ZF und der Polit waren dabei. Die obskuren Objekte des Anstoßes legen auf dem Tisch, und ich wurde verhört über Motive meines „schändlichen“ Tuns. Vorrangig drehte es sich um den Sputnik. Der FRL sagte mir, er wolle mich unter Umständen von der Unteroffiziersprüfung absetzen und mich als Soldat in die Truppe entlassen. Vorher jedoch, hatte er sich durchgerungen mich anzuhören und so galt es eine möglichst überzeugende Argumentation zu finden, die auf politische Naivität, teils Unwissenheit über rechtliche Bestimmungen, bei aber gefestigtem Standpunkt hinauslief. Keinesfalls durfte das Bild eines Staatsfeindes und bewußten Straftäters entstehen. So habe ich dann versucht zu argumentieren, daß der Sputnik 10/88 noch nicht von der Postzeitungsliste gestrichen gestrichen und noch nicht verboten war, sondern unbegründet, vermutlich aus techn. Gründen nicht erscheinen ist, aber in Einzelexemplaren noch verkauft wurde. Damit sei es keine verbotene Zeitschrift. Einzig allein die Kopie sei nicht zulässig gewesen, aber ein Einzelstück, kaum einer Verbreitung in der Kompanie ausgesetzt gewesen. Dazu ging ich auf meine eigene kritische Wertung des Artikels ein. Wie mir mein Zugführer heute sagte, konnte der FRL einige dieser Argumente nicht außer acht lassen und hat mich, wie er mir heute sagte, nicht von der Prüfungsliste gestrichen. Es war wirklich für mich eine brenzlige Situation, wo ich spürte wie Armee + Stasi mit brachialer Gewalt zuschlagen können und einem die nächsten 3 Jahre zur Hölle machen können. Da ist es nicht einfach, seine Positionen zu wahren! Wie leicht wird man zum Opportunisten, der sich anpaßt und überall mitmacht. Vielleicht wirst Du sagen, ich war naiv, aber diese ganze Sache hat eine Menge meiner Illusionen über die relative Freiheit und Demokratie in diesem Staat zerstört. Es war wirklich desillusionierend. Kann sein, daß ich noch mal zur Abteilung der Firma muß! Ich werd es überstehen!

Aber wie schnell hat man in solchen Situationen Angst um sein bißchen Zukunft und Leben. Soviel zu diesem traurigen Kapitel. In einer Woche ist alles vorbei, Prora good-bye!

Ich ruf Dich an, wenn ich in Dresden angekommen bin, vielleicht bist Du auf KU.

Viele liebe Grüße
Dein E.

P.S.: Du siehst an den Streichungen und Überschreibungen, daß ich Konzentrationsschwierigkeiten habe, ich bin urlaubsreif. Hoffentlich bekomme ich Versetzungsurlaub.

Dresden, 26.2.89

Hallo, lieber Sebastian!

Sei gegrüßt aus dem heimatlichen Dresden! Ich hoffe, es geht Dir gut!
„Es ist Sonntag morgen auf der ganzen Welt, und die Kirchenglocken läuten, daß es Gott gefällt...“
läuft gerade im Radio und ich sitze bei meinem Kaffee im Dienstzimmer und sehe nebenbei Fernsehen (Ski-WM) und versuche Dir zu schreiben.
Du warst der einzigste, der mir auf meine letzten Tage in Prora noch geschrieben hatte, die anderen befürchteten, ihre Briefe würden mich nicht mehr erreichen. Die letzten Tage in Prora waren locker, die Vorgesetzten mußten keine Angst mehr um ihre Autorität haben, die Prüfungen waren simpel. Es war eine eigenartige Situation, weil keiner wußte, wie die Zeit nach der Abversetzung verlaufen würde, es war wie ein schwarzes Loch.

Die letzte Nacht haben wir durchgemacht, und früh um fünf gingen wir nach einem halben Jahr Zusammenleben, mit Beteuerungen uns wiederzusehen und uns zu schreiben auseinander. Ich glaube, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl und diese Kameradschaft und Freundschaft werde ich wohl nicht so schnell wiederfinden.

Zwar beruhte diese Freundschaft auf vielen Kompromissen und vielen unausgesprochenen Problemen und funktionierte nur unter dem Druck der Armeeatmosphäre, aber sie hat mir immer unheimlich viel seelische Stabilität und Kraft gegeben und machte die für mich so notwendige Kommunikation und Gespräche über „Gott und die Welt“ möglich. 

Erik K., Auszug aus: Sebastian Kranich: Erst auf Christus hören, dann auf die Genossen“ (2006)

Chemische Dienste

Über der „Grundlagenausbildung“ lagen die Kompanieräume der Fachrichtung VI - Chemische Dienste. Die hier ausgebildeten Fähnriche und Unteroffiziere hatten es nicht weit zu den Unterrichtsräumen, die sich im 1. OG der heutigen Häuser Aurum und Aqua anschlossen. In der Fachrichtung arbeiteten zwei Fachgruppen mit qualifiziertem Personal, das sowohl über pädagogische als auch über militärische und spezialfachliche Kenntnisse verfügte. Die Ausbildung erfolgt in sechs Spezialkabinetten und einem technischen Ausbildungszentrum.

Umgang mit Massenvernichtungswaffen

Die Fachrichtung Chemische Dienste wurde am 1. Dezember 1969 gegründet. In der Fachrichtung wurden zuletzt Fähnriche und Unteroffiziere der Chemischen Dienste ausgebildet. Berufsunteroffiziere wurden zum Meister für Organisation qualifiziert.Dazu wurden ein umfangreiches mathematisch-naturwissenschaftliches Grundlagenwissen und Spezialkenntnisse zur Technik, den Mitteln und Geräten der Chemischen Dienste vermittelt. Ziel war es unter anderem, die Technik instandzusetzen und die Folgen des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen analytisch vorausberechnen zu können, sowie auch an der Beseitigung und Minderung der Folgen des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen mitzuarbeiten. Die Spezialkenntnisse wurden auf Übungsplätzen auch erprobt.